„Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte“ von Julia Blesken

Das Kinderbuch „Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte“ von Julia Blesken vor einer alten Mauer auf die eine Kreidemaus gekritzelt wurde.

Katja Pfeiffer knallt die Tür zu. Rennt weg von ihren Vätern. Nach einem Streit um Schokoküsse. Draußen trifft sie Zeck und Fridi aus ihrer Klasse. Nicht viel später stößt Mustafa zu ihnen. Dessen Tag auch nicht so wirklich dolle läuft. Denn aus Versehen killte er gerade den Familien-Wellensittich. Und nun fürchtet er, dass seine Mutter auch jemanden killt. Deswegen flüchtete er. Mit dem Sittich in der Hosentasche.

Doch Jennifer Klar toppt das noch. Denn sie hat eine Tüte dabei in der sich ihr Opa befindet. Um genauer zu sein: Seine Asche. Damit ihre Mutter die Asche nicht entsorgt, nimmt Jennifer sie überall mit hin. Unbedingt möchte sie den letzten Willen ihres Opas erfüllen und ihn nach Kolomoro bringen. Seinem Schrebergarten. Nur leider weiß sie nicht, wo der ist. Vielleicht können die andere ihr herlfen? Ihr Opa soll da auch was versteckt haben. Einen Schatz. Klar: Opas Wille muss erfüllt werden. Die anderen sind dabei.

Katja rennt

Die Rückseite des Kinderromans „Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte“ von Julia Blesken

Und zack – stolpern diese sehr unterschiedlichen Kinder auf der Suche nach dem mystischen Kolomoro durch Berlin. Legen sich mit tätowierten Rockern an. Reißen Mitschülerin Polina wider Willen in ihr Abenteuer hinein. Verlieren Opa. Finden ihn wieder. Rennen und rennen – fliehen vor Kontrolleuren, Container-Hütern und Teenie-Zicken. Rennen über ihre Grenzen und wachsen zusammen. Finden Hilfe, wo sie es nicht erwarten. Und vielleicht am Ende sogar einen Schatz.

Seite für Seite gewinnen die Kinder Tiefe. Brechen ihre Stereotypen; entwickeln sich. Freundschaft wächst, wo vorher nur Zweckgemeinschaft war. Diese Kinder wirken echt. Voller Ecken, Kanten und Unsicherheiten. Mit Mut und Einfallsreichtum. Mit einem Zuhause, wo überall andere Herausforderungen wohnen. Jedes mit anderen Prägungen und Voraussetzungen. Aber alle stecken sie in dieser Niemalszeit zwischen Kindheit und Pubertät. Finden sich. Besitzen aber immer noch Magie.

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„Aurelias zauberblaues Geheimnis“ von Heike Herrgen

Montagmorgen. Sportlehrer Preisel spannt gerade das Volleyballnetz. Gleich sollen Karl und Emma die Mitglieder ihrer Teams auswählen. Klar, dass Aurelia Letzte werden wird. Wie immer. Doch dann kribbelt sie alles. Als ob hunderte Ameisen über ihre Füße laufen. Plötzlich wird alles blau… und Karl ruft ihren Namen. Wählt sie als Erste in sein Team.

Aber der Elfjährigen bleibt erst mal keine Zeit lange über dieses zauberblaue Geheimnis zu grübeln. Sie muss dringend schwimmen lernen, bevor nächsten Monat der Schwimmunterricht in der Schule beginnt. Und dass ihr geliebter Südpark einer Hotelanlage weichen soll, muss dringend verhindert werden. Außerdem sind neben dem Haus in dem sie mit Oma und Tante Ottilie lebt neue Nachbarn eingezogen. Ein Junge in ihrem Alter samt Hund, zwei Vätern und zickiger, großer Schwester. Da ist gerade ganz schön viel los in Aurelias Leben.

Dennoch: Woher kommt das blaue Kribbeln. Das auf magische Weise Aurelias Wünsche zu erfüllen scheint. Was zu reichlich Chaos führt. Denn kontrollieren kann sie das nicht wirklich. Hat sie die Gabe von ihrer Mutter geerbt, die starb als sie noch ganz klein war? Oder von ihrem Vater? Zusammen mit Samuel begibt sie sich auf die Suche nach diesem Mann. Über den Aurelia rein gar nichts weiß.

Hohes Identifikationspotenzial

Rückseite des Kinderromans „Aurelias zauberblaues Geheimnis“ von Heike Herrgen

„Aurelias zauberblaues Geheimnis“ ist ein picke packe vollgepackter Roman für Menschen ab zehn Jahren. Wobei wir es als Familienbuch zusammen lasen und der Vize (7) es mindestens so gut fand wie der Chef (11).

Ein Genre für diese besondere Geschichte zu finden, fällt mir allerdings schwer. Heike Herrgens Debütroman ist Detektivgeschichte, Familiendrama, Gesellschaftskritik, Urban Fantasy. Und obwohl es durchaus auch um schwere Themen wie Verlust und Trauer geht, lasen wir uns beschwingt durch die Seiten.

Die Jungs nahmen großen Anteil daran, wenn Aurelias Wünsche übers Ziel hinausschossen. Sie keine Kontrolle hatte. Gefühlschaos und das Manches schief geht, obwohl man doch nur das Beste möchte, das kennen sie selbst. Auch die Angst vor dem Schwimmenlernen konnten sie gut nachfühlen. Sie konnten sich gut mit der sympathischen Protagonistin identifizieren. Dementsprechend gingen die beiden von Anfang an stark mit und freuten sich über das zauberblaue Happy End. 😊

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„Ritter Otto will nicht kämpfen“ von Günther Jakobs

Das Pappebuch „Ritter Otto will nicht kämpfen“ von Günther Jakobs in Efeu liegend

Kämpfen und schlagen, das kann Ritter Otto nicht ertragen. Doch gilt bei den fiesen Spielen der Turniere: Gewinne oder verliere. Diese Spiele sind wirklich Mist. Weswegen Otto sie ändert – mit einer List.

Anstatt sich beim Schwertkampf zu prügeln und zu hauen, müssen die Ritter nun Bauklotztürme bauen. Anstelle des Lanzenstechens zur Feier, laufen die Ritter mit Löffeln und Eiern. Danach haben alle die Schlacht im Kopf. Doch stattdessen hauen sie blind auf einen Topf. Am Ende steht es außer Frage: Dies war das beste Ritterfest aller Tage!

Eine Innenseite des gereimten Kinderbuches „Ritter Otto will nicht kämpfen“ von Günther Jakobs

Ritter Otto erobert im Sturm – ganz friedlich!

Rückseite des Pappbilderbuches „Ritter Otto will nicht kämpfen“ von Günther Jakobs

Wenn ich seit „Katz und Maus wollen hier raus“ nicht eh schon Günther Jakobs-Fan wäre – ich wäre es jetzt. Sein munter gereimtes Bilderbuch „Ritter Otto will nicht kämpfen“ eroberte mich im Sturm. Ganz friedlich. Das pazifistische Pappebuch ist nicht nur gewitzt gedichtet und illustriert. Es bricht auch leise-weise mit Klischees.

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„Hermut: Die Geschichte von einem Helden, der seinen Mut wiederbekommt“

Das Kinderbuch „Hermut: Die Geschichte von einem Helden, der seinen Mut wiederbekommt“ von Kathleen Haupt-Schibilsky und Barbara Schumann vor einer bunt besprühten Backsteinmauer

„Clown Hermut trägt ‚nen kleinen Hut,
Sein Leben gefällt ihm wirklich gut.
In seinem kunterbunten Kleid
ist er zum Lachen stets bereit.“

So verbreitet er in seinem Zirkuszelt gute Laune und Glück. Bringt Kinderaugen zum Strahlen. Doch heute schleicht sich ein Wesen an. Stielt dem Clown seine Farben. Lässt Hermut grau und traurig zurück.

Mutig handeln nun die Kinder. Füllen die Zirkusarena mit Späßen, Kunststücken, Tänzen, Dressuren und Gemälden. Schenken Hermut nach und nach seine Farben zurück. Zeigen ihm, wie er sich selbst wiederfindet und sich gegen fiese Farbendiebe zur Wehr setzten kann.

Multimediale Geschichte zum Thema Gewaltprävention

Rückseite des Kinderbuches „Hermut: Die Geschichte von einem Helden, der seinen Mut wiederbekommt“ von Kathleen Haupt-Schibilsky und Barbara Schumann

Kathleen Haupt-Schibilsky schuf mit „Hermut: Die Geschichte von einem Helden, der seinen Mut wiederbekommt“ eine ambitionierte, mehrmediale Geschichte für Kinder ab fünf Jahren. Mit dem Schicksal des Clowns und den selbstbewussten Vorstellungen der Kinder, will die Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche wichtige Elemente von Gewaltprävention vermitteln.

Dazu gehört zu sehen, dass es Menschen gibt, die es nicht gut meinen. Zwischen guten und schlechten Geheimnissen unterscheiden zu können. Zu wissen, dass Ihre Körper ihnen gehören. Und, dass sie ihre Wünsche deutlich machen dürfen. Dass Träume dringend erlaubt sind; dass sie sich mögen sollen, wie sie sind und alle Gefühle wichtig sind. Über alles geredet, alles benannt werden darf.

Kindgerecht, aber deutlich

Die Texte vermitteln all dies zusammen mit den sprechenden Illustrationen von Barbara Schumann kindgerecht, aber deutlich. Ruft man dann per QR-Code noch die dazugehörende Audiodatei auf, verleiht Sprecher Romanus Fuhrmann der Geschichte intensives, eigenes Leben. Alternierend singt Jona Swane Schibilsky dazu die Geschichtenlieder der Kinder. Welche die Moral, den pädagogischen Mehrwert in ätherisch anmutende, klassisch interpretierte Musiksequenzen packen.

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„Stella und das Geheimnis“ von Madeleine Bernadotte und Stina Lövkvist

Das Kinderbuch „Stella und das Geheimnis“ von Madeleine Bernadotte, Karini Gustafson-Teixeira, Marie Oskarsson und Stina Lövkvist vor einem orangefarbenen Hintergrund

Als Stella aufwacht platzt ihr Vater in ihr Zimmer. Zusammen mit ihrem Stiefbruder samt seiner Mutter Camilla und ihrem Baby-Bruder Axel. Einen Kuchen bringen sie. Und Geschenke. Denn Stella wird heute neun Jahre alt. Ein Grund zum Feiern. Oder?

Tatsächlich ist Stella so gar nicht nach feiern zu Mute. Nicht nur, dass ihre Eltern sich getrennt haben und sie mit Papas neuer Familie ein Jahr in Schweden verbringen muss, während ihre Mama in Amerika bleibt. Nein, gerade heute verplappert sich ihre Mutter. Verrät beim Geburtstagstelefonat, dass ihr Freund zu ihr gezogen ist. Weil sie schwanger ist. Na, schlimmer kann es nun wirklich nicht mehr werden.

Immerhin entpuppt sich Nachbarsjunge Ali nach Startschwierigkeiten als echt netter Kerl. Und mit Elena gewinnt Stella schnell eine richtig gute Freundin. Doch irgendetwas stimmt mit Elena nicht.

Ein schlechtes Geheimnis

Eines nachmittags vertraut sich das Mädchen Stella an. Erzählt, was sie noch nie jemandem erzählt hat. Berichtet, dass der Freund ihrer Mutter auf sie aufpassen soll, wenn ihre Mutter abends arbeiten muss. Dass er dann zu ihr ins Zimmer kommt. Dort vor ihrem Bett steht. Sie anstarrt. Schwer atmet. Dass sie große Angst hat. Stella solle bitte, bitte niemanden etwas sagen. Er hat es ihr verboten. Und ihre Mutter würde ihr eh nicht glauben. Stella verspricht es. Doch belastet sie dieses Geheimnis zu sehr. Was kann sie bloß tun?

Stella entscheidet sich, ihrem Vater von dem Geheimnis zu erzählen. Der handelt. Und Elena vor einem weiteren Abend allein mit dem Freund der Mutter bewahrt . Alles wird gut.

Kinder stärken, Erwachsene sensibilisieren

Die Rückseite des Kinderbuchs „Stella und das Geheimnis“ von Madeleine Bernadotte, Karini Gustafson-Teixeira, Marie Oskarsson und Stina Lövkvist vor einem orangefarbenen Hintergrund

Madeleine Bernadotte (Prinzessin von Schweden) schrieb das Buch „Stella und das Geheimnis” in Zusammenarbeit mit der World Childhood Foundation. Es soll Kinder ab sechs Jahren (und erwachsene Vorleser*innen) zu den wichtigen Themen Kinderrechte und Missbrauch sensibilisieren. Stärken. Soll das Schweigen brechen. So hofft Prinzessin Madeleine, „dass dieses Buch Kindern, Eltern und Lehrerinnen helfen kann, neue Wege zu finden, um über Themen zu sprechen, die sonst vielleicht schwierig zu behandeln sind.“

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„Holly im Himmel“ von Micha Lewinsky

Das Kinderbuch „Holly im Himmel“ von Micha Lewinsky vor einer alten Backsteinmauer

„Ich bin doch hier“, wollte Holly antworten. Aber sie hatte ja keinen Mund und auch keinen Kopf. Sie fehlte komplett. Sie konnte ihrer Mutter nicht antworten. Sie konnte sie nicht in den Arm nehmen. Und sich auch nicht in den Arm nehmen lassen. Gar nichts konnte sie tun. Sie fehlte.“

Holly fehlt, weil sie im Streit mit ihrer Mutter – blind vor Wut – über eine Straße stürmte. Den Lieferwagen nicht sah. Im Himmel landete. Wo nun nicht alles so ist, wie sie es sich vorstellte. Wo nicht alles so ist, wie es sein sollte.

Oberengel Bartel führt ein strenges Regime. Will die komplette Macht im Jenseits an sich reißen. Jetzt schon bestimmt er über die Engel. Dabei will Holly dringend Engel werden. Denn Engel dürfen zurück auf die Erde. Um den Menschen zu helfen. Und Hollys Familie braucht doch so dringend Hilfe!

Gehört zu meinen Lese-Highlights 2023

Rückseite des Kinderomans „Holly im Himmel“ von Micha Lewinsky

„Holly im Himmel“ gehört definitiv zu meinen Lese-Highlights 2023. Ich musste lange warten, bis die Wahl des Chefs (10) auf dieses wundervolle Buch fiel. Doch als er es endlich erwählte, lasen wir beide es so gerne!

Zugegeben: Für mich als Mutter eines Zehnjährigen war die Lektüre hart. Zu gut kenne ich diese Wut-Szenen. Zu nah ging mir der Verlust. War mir Hollys Mama. Doch Micha Lewinsky schafft es mit feinem Witz und trockenem Humor immer wieder aufzulockern. Das Bittere zu versüßen. Und die traurige Geschichte in ein lebensbejahendes Märchen voller Hoffnung und Liebe und Verständnis zu verwandeln.

Anarchisch, weise, wild

Der Chef fand „Holly im Himmel“ sowieso schreiend komisch. Immer wieder lachte er laut heraus. Als Vorlesegeschichte vor dem Zubettgehen ist es dementsprechend weniger geeignet. Besonders, wenn nebenan kleine Geschwister schlafen sollen. Aber ich konnte ihn so gut verstehen. Teilweise absurd witzige Sequenzen trieben auch mir die Lachtränen in die Augen.

Dieser Roman für Menschen ab zehn Jahren ist tief traurig, prickelnd lustig und sehr lehrreich. Denn neben dem ernsten Todesthema, werden so schwerwiegende Themen, wie Depression, Scheidung, neue Partnerschaft eines Elternteils, soziale Ungerechtigkeit, Diktatur und Tyrannei sowie politischer Wiederstand behandelt. Was viel scheint, doch so gut passt. Wie gesagt: Wir lieben es!

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„Der Totenkopf“ von Jon Klassen

Das Bilderbuch „Der Totenkopf“ von Jon Klassen in Herbstlaub vor einem Baum stehend

„Eines Nachts, mitten in der Nacht, während alle anderen schliefen, lief Otilla endlich weg.“

Ihre Flucht treibt sie bei Schnee und Kälte durch einen finsteren, unheimlichen Wald. Der sie straucheln und verzweifeln lässt. Doch das Mädchen rappelt sich auf. Findet eine Lichtung. Findet ein sehr großes, sehr altes Haus.

In welchem ein einsamer Totenkopf wohnt. Er heißt das hilfsbereite Kind willkommen. Teilt Erinnerungen und Andenken. Und ein Geheimnis. Denn Nacht für Nacht sucht ein kopfloses Gerippe das Haus heim. Will den Totenkopf erwischen. Nacht für Nacht flüchtet er. Will nicht gefangen werden.
Otilla schreckt das Skelett nicht. Sie bleibt beim freundlichen Schädel. Und nimmt sich seines Problems an.

Viel Raum für Interpretation

Rückenseite der Sagenerzählung „Der Totenkopf“ von Jon Klassen

Wie Otilla die Heimsuchung beendet, liest sich hart. Doch ist ihr Handeln schlicht logisch. Ergibt sich aus dem Verständnis, welches sie mit dem Totenkopf fast stillschweigend teilt. Dem Willen, nicht gefunden zu werden. Dem Wunsch nach Freiheit.

Der Leser kann nun darüber philosophieren, warum der Schädel denn nicht zum Gerippe möchte. Gehört er denn da nicht hin? Gehört Otilla nicht auch dorthin, woher sie weglief? Was tun wir, um uns von Altem, von Ungesundem loszulösen? Und überhaupt! Was bringt es, etwas nur zur Dekoration zu sammeln?

Ja, die Erzählung mit ihren gedankenreichen, düsteren Illustrationen bietet viel Raum für Interpretation. Doch können wir auch einfach mit Otilla das Ankommen genießen. Den trockenen Humor des Dialogs. Den freundlichen Schädel und sein großzügiges Heim. In dem mit dem Mädchen auch wieder Leben einzieht.

Von Konsequenz und Endgültigkeit

Im Nachwort erfahren wir, dass Jon Klassen in einer Bibliothek in Alaska über eine Tiroler Volkssage stolperte. Sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Doch verwandelten seine Gedanken die Sage. Ganz absichtslos. Interpretierten sie neu. Was ihn sehr überraschte, als er nach einem Jahr das Original wieder in den Händen hielt.

Beide erzählen jedoch von einem starken Mädchen. Einem Mädchen, das fortläuft. Wohl, um sich zu retten. Und das bereit ist konsequent und endgültig zu handeln, um auch andere zu retten. Das Schicksal selbst zu lenken. Nichts dem Zufall zu überlassen. Eine starke Protagonistin für ein starkes Buch!

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„Das Schloss der Smartphone-Waisen“ von Salah Naoura

Das Kinderbuch „Das Schloss der Smartphone-Waisen“ von Salah Naoura vor einer verblassten, roten Backsteinmauer

Marlas Eltern fielen – schwerkraftbedingt – von einer Klippe ins Meer. Als sie mit ihrer Tochter skypten. Und dabei wohl vergaßen, wo sie waren. Jahre später kreuzt sich Marlas Weg mit Bodhi und Bhavanis. Deren Vater wegen Kopfhörer und Musik auf den Ohren einen Zug überhörte.

Inzwischen erwachsen, adoptierte Marla die Geschwister und gründete in einem altersschwachen Haus in einem Berliner Hinterhof Smart e. v. – das erste und einzige Wohnheim für Smartphone-Waisenkinder. Welches auch Tara, Leo und Kalli ein neues Zuhause gibt. Deren Eltern ebenfalls an (oder mit) ihren Mobiltelefonen verstarben. Zusammen geben sich Kinder in Marlas herzlichem Heim Halt. Sind beste Freunde. Sind Familie.

Smartphone-Waisen halten zusammen

Als sie die Nachricht erhalten, dass ihr baufälliges Heim bald abgerissen werden soll, beginnt die Suche nach einem neuen Zuhause. Perfekt wäre das Schloss der alten Hermine. Doch deren fieser Sohn will das Schloss für sich. Aber die fünf Freunde haben einen Plan.

Meine Jungs lieben die Smartphone-Waisen!

Zugegeben, der Titel machte mich sehr skeptisch. Smartphone-Waisen? Was sollte das sein? Kinder ohne Smartphones? Eine Bande elternlose Kinderdetektive, die mit ihren Handys Fälle lösen? Selbst als wir schon mittendrin steckten, hatte ich Zweifel. Ist diese Idee nicht arg Morbide für ein Kinderbuch für Kids ab 8 Jahren? Aber da hat sich mein bekloppter Erwachsenenkopf echt mal wieder zuviele Gedanken gemacht.

Chef (9) und Vizechef (6) fanden „Das Schloss der Smartphone-Waisen“ absolut großartig. Fanden weder die Idee abstrus, noch waren sie verstört oder traurig. Zu lustig war die Sprache, zu drüber das ganze Szenario. Und doch auch irgendwie ganz nah bei ihnen. Denn mal ehrlich: So weit hergeholt ist das elterliche Verhalten, sind die Todesarten nicht. Auf unsere Kinder müssen wir wirklich oft so wirken wie fremdgesteuert oder hypnotisiert. Sind unaufmerksam und abgelenkt. Soweit war das für meine Jungs also gar nicht unrealistisch.

Magisch, surreal, grotesk

Rückenansicht des Kinderbuchs „Das Schloss der Smartphone-Waisen“ von Salah Naoura

Als die Freunde dann aber zur Tat schreiten, um Hermine und ihr Schloss zu retten, beginnt eine fantastische, abgedrehte Reise die Kinderherzen jubeln lässt. Wenn die Waisenbande weder vor Entführung noch vor Raub oder Einbruch zurückschreckt. Sie mit magischen Fähigkeiten glänzen und Gadgets nutzen, die jeden Agenten vor Neid erblassen lassen würden. Das ist einfach ein herrlich anarchischer, rotzfrecher Spaß. Der mir beim Vorlesen manch Lachtränchen ins Auge trieb.

Salah Naoura bedient sich bei Science-Fiction und Fantasy. Bricht immer wieder mit direkter Ansprache die vierte Wand. Und schenkt uns mit all dem eine Geschichte so magisch, so surreal, so grotesk wie ich sie im Kinderbuchbereich bisher nur selten entdeckte.

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„Handbuch für Superhelden: Die Rote Maske“ von Elias und Agnes Våhlund

Graphic Novel für Kids: „Handbuch für Superhelden: Die Rote Maske“ von Elias und Agnes Våhlund

Während Lisas Mama noch immer im Ausland weilt, wohnt die Neunjährige bei ihrer Oma in Rosenberg. In der Schule fühlt sie sich weiterhin unwohl. Die Schul-Rowdys lassen sie einfach nicht in Frieden. Tyrannisieren auch andere. Doch seitdem Lisa das Handbuch für Superhelden in die Bibliothek ihrer Großtante fand, hat sie fleißig trainiert: Tiersprache, superstarke Kampftechnik und Fliegen.

Und zumindest das mit dem Fliegen klappt schon ziemlich gut. Auf dem Dachboden findet Oma auch noch passende rote Stiefel zum roten Superheldenanzug. Kleider machen Leute. Helden. Lisa wächst über sich hinaus.

Der zweite Teil der Reihe reißt mit

Rückseite der Graphic Novel für Kinder „Handbuch für Superhelden: Die Rote Maske“ von Elias und Agnes Våhlund

Ach, was freuten sich meine Jungs, als Lisas Oma die roten Stiefel fand. Sofort mutmaßten sie, dass Oma vielleicht selbst mal eine Heldin war. Konzentrierten sich dann aber schnell wieder auf Lisa. Denn die rettet nicht nur einen berühmten Flugzeugartisten und ihre Klassenkameraden. Auch die Schul-Rowdys stehen am Ende in ihrer Schuld. Müssen versprechen, nie mehr jemanden zu hänseln. Und ihre Segelohren findet sie auch gar nicht mehr so schlimm. Wie wundervoll.

Der zweite Teil der „Handbuch für Superhelden“-Reihe reißt mit. Das Comic-Buch hat alles, was ein gutes Kinderbuch braucht. Eine Protagonistin, in die man sich hineinversetzen kann. Mit Fähigkeiten, die junge Leser auch gerne hätten. Eine Botschaft, mit moralischem Kompass. Eine Geschichte, die Mut zum Selbstvertrauen vermittelt. Und natürlich mit dramatisch-packende Illustrationen.

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„Wer ist Malala Yousafzai“ von Dinah Brown

Das Kinderbuch „Wer ist Malala Yousafzai“ von Dinah Brown auf Efeu liegend

Als kleines Mädchen wollte Malala Ärztin werden. Doch als sie zehn Jahre alt war, begann in Pakistan ein Krieg. Die Taliban übernahmen das Swat-Tal in dem Malala lebte. Und plötzlich durften Mädchen nicht mehr zur Schule gehen. Aber Malala ging weiter in die Schule. Wollte unbedingt lernen.

Außerdem redete sie über das, was geschah. Sprach mit Reportern. Wurde berühmt. Auch die Taliban erfuhren von ihr. Versuchten sie zu töten. Scheiterten. Und Malala kämpft noch heute für die Rechte aller Kinder.

Ins kalte Wasser geworfen

Das alles erfahren wir schon im ersten Kapitel der kindgerecht aufgemachten Biografie. Nachdem die ersten Zeilen jungen Leser*innen viel Identifikationspotenzial bieten, fühlt sich Malala Yousafzai Geschichte direkt nah an. Der Bruch vom normalen Schulkind zum unterdrückten Mädchen fühlt sich unwirklich an. Erst muss sie dieselben schulischen Herausforderungen meistern, wie jedes Schulkind. Dann darf sie plötzlich nichts mehr. Kämpft. Wird zur Heldin. Das ist krass.

In der Einführung ins kalte Wasser geworfen, geht es in den folgenden Kapiteln gemächlicher zu. Wir lernen Malala Yousafzai kennen. Erfahren die Hintergründe. Lesen von der Geschichte ihrer Eltern, ihrem Glauben und ihrer paschtunischen Kultur. Von ihrer Geburt, ihrem Familienleben und ihrem Vater. Der sie förderte. Der sie in seiner Schule lernen ließ. Und der mit einem Fernseher die Welt nach Hause brachte.

Was für ein beeindruckendes Mädchen!

Rückenansicht der Biografie „Wer ist Malala Yousafzai“ von Dinah Brown

Wir erfahren, was der Einzug der Taliban ins Swat-Tal bedeutete. Wie drastisch sich das Leben wandelte. Wie gefährlich es wurde. Nicht nur für Mädchen. Und wir lesen darüber, wie mutig Malala mit Reporten sprach. Davon, dass sie mit gerade elf Jahren einen Blog für die BBC schrieb. Der ganzen Welt berichtete. Berühmt wurde. Davon, dass sich die Zeiten besserten. Dass fast so etwas wie Normalität einkehrte. Bevor ein Taliban Malala ins Gesicht schoss.

Sie überlebte. Verlor nicht ihren Mut. Hielt eine mitreißende Rede vor den Vereinten Nationen. Veröffentlichte ein Buch. Gewann den Friedensnobelpreis.

Die Biografie „Wer ist Malala Yousafzai“ beeindruckt. Klärt auf. Inspiriert. In einfachen Sätzen, deutlich und wiederholend, holt sie das Zielpublikum sehr gut ab.

Zwischendurch erklären Spezialseiten Themen, die angesprochen wurden. Erläutern den Islam; stellen das paschtunische Volk vor. Die Geschichte von Malalas Namenspatronin Malalai von Maiwand. Oder wer Rumi. Mutter Teresa und Mahatma Gandhi waren. Was BBC und Uno sind.

Gerade jetzt kämpfen sie. Wir müssen hinschauen!

Das reichbebilderte Sachbuch richtet sich an Kinder ab acht Jahren. Doch auch ich habe viel gelernt. Malalas Mut und Tatkraft imponieren mir sehr. In dem Wissen, dass noch immer starke Mädchen und Frauen gebraucht werden, empfehle ich dieses Buch von Herzen.

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