„Der Tag, an dem der Krieg kam“ von Nicola Davies und Rebecca Cobb

Meine heutige Buchempfehlung passt schmerzhaft zu meiner Buchempfehlung, die ich Euch am 1. Adventssonntag in Susanne Maria Emkas Adventskalender auf Instagram geben durfte: „Krieg: Stell dir vor, er wäre hier“ von Janne Teller.
Das Bilderbuch „Der Tag, an dem der Krieg kam“ von Nicola Davies und Rebecca Cobb vor einer roten Backsteinmauer

Auch heute lege ich Euch ein Buch zum Thema Krieg ans Herz. Ein Bilderbuch, das mir auf der letzten Frankfurter Buchmesse die Tränen in die Augen trieb.

„An dem Tag, als der Krieg kam, standen Blumen auf der Fensterbank, und mein Vater sang meinen kleinen Bruder in den Schlaf.“

Das kleine Mädchen lernte etwas über Vulkane, nachdem seine Mutter es auf die Nase geküsst und zur Schule gebracht hatte. Dann kam der Krieg. Nach dem Mittagessen. Er legte die Stadt in Trümmern. Das Mädchen blieb allein.

Ausschnitt einer Innenseite des Bilderbuchs „Der Tag, an dem der Krieg kam“ von Nicola Davies und Rebecca Cobb

Nach langer Reise über Land und Wasser, durch Zelte und Straßen bleibt es in einer Stadt. Weit weg. Der Krieg noch in ihr. Er hatte ihr Herz besetzt. Und zeigte sich dort, wo die Menschen ihre Türen vor dem Kind schlossen. Wegsahen. Sich abwandten. Dort, wo kein Platz für das Kind war. Bis ein Junge versucht den Krieg aus ihrem Herzen zu vertreiben.

Frieden teilen

Rückseite des Kinderbuches „Der Tag, an dem der Krieg kam“ von Nicola Davies und Rebecca Cobb

„Der Tag, an dem der Krieg kam“ riss mir die Füße unter dem Boden weg. Die ergreifenden Worte schnitten mir in Herz. Die Bilder quälend – realistisch und kindlich zugleich. Was erst wie ein Gegensatz wirkte. Und doch keiner war. Denn Krieg macht vor den Kindern nicht Halt. Trifft sie. Begleitet sie. Bleibt.

Und es ist an uns, etwas zu ändern. Den Krieg aus unseren Herzen zu halten. Jene an unserem Frieden teilhaben zu lassen, die mit ihm reisen. Jenen Platz zu geben, denen ihr Platz genommen wurde. Kinder verstehen das oft noch so viel besser als wir.

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„Wenn Sterne verstreut sind“ von Victoria Jamieson und Omar Mohamed

Die preisgekrönte, großartige Graphic Novel „Wenn Sterne verstreut sind“ von Victoria Jamieson und Omar Mohamed in Wüstensand liegend

Wir befinden uns in Dadaab. Einem riesigen Flüchtlingslager in Kenia. Dieses gigantische Lager ist größer als so manch deutsche Großstadt. Und mitten in diesem überfülltem Chaos mit hungernden, versehrten Menschen teilen sich Omar und sein kleiner Bruder ein Zelt. Schon seit sieben Jahren.

Das Leben in einem Flüchtlingslager hat viele schlimme Seiten. Es gibt nur wenig Essen, also sind Hassan und ich immer hungrig. Und es ist heiss. Für mich ist das Schlimmste hier aber…dass es furchtbar langweilig ist. Jeder Tag ist praktisch gleich.“

Omar kümmert sich aufopfernd um seinen Bruder. Der nicht so ist, wie die anderen Kinder. Der spezielle Bedürfnisse hat. Manchmal von Krämpfen heimgesucht wird. Sensibler und ruhiger ist. Sehr ruhig sogar. Denn er sagt nur ein einziges Wort. Als Omar die Chance bekommt, zur Schule zu gehen, will er zunächst ablehnen. Schließlich muss er auf Hassan aufpassen.

Ausschnitt einer Innenseite der Graphic Novel für Kinder „Wenn Sterne verstreut sind“ von Victoria Jamieson und Omar Mohamed

Doch er nimmt die Chance wahr und kämpft sich durch. Lernt Englisch. Und steht viele Jahre später auf der Liste. Der Liste, welche jeder im Lager voller Hoffnung im Auge behält. Der Liste, auf der die Menschen stehen, die ein Interview mit der UN führen dürfen. Um vielleicht nach Amerika, Kanada, Hauptsache-Irgendwohin umsiedeln dürfen.

„In einem Flüchtlingslager kann sich alles schnell ändern… und gleichzeitig gar nichts.“

Wie jedes Kind…

„Wenn Sterne verstreut sind“ ist eine absolut berührende, zu Herzen gehende Graphic Novel für Menschen ab neun Jahren. Wenn Omar in einfachen Sätzen seine Geschichte erzählt, muss man einfach zuhören.

Unglaublich erscheint es, dass zwei kleine Kinder ohne ihre Mutter fliehen müssen. Halb tot in einem Lager ankommen, so weit weg von zu Hause. Ein Junge viel zu früh Verantwortung übernehmen muss. Viel zu früh erwachsen wird. Und dennoch Wünsche hegt, wie jedes Kind. Seine Mutter vermisst. Albträume hat. Nach Hause will.

Dass diese Geschichte im Kern wahr ist, macht das Ganze noch so viel intensiver. Dass sie zumindest für Omar und seinen Bruder ein Happy End hat, noch unfassbarer. Es wirkt wie ein reales Märchen. Welches Hoffnung weckt und gleichzeitig mahnt, wie ungerecht es auf dieser Welt zugeht.

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„Das Krokodil sucht eine neue Heimat“ von Yoeri Slegers

Das Bilderbuch „Das Krokodil sucht eine neue Heimat“ von Yoeri Slegers

„Früher hatte Krokodil ein schönes Haus. […]
Es hatte eine Familie und viele Freunde. […]
Es war gut, bis es schlimm wurde.
Schlimm, schlimmer, am schlimmsten.“

Plötzlich war Krokodil nicht mehr sicher. Musste weg. Suchte einen Ort zum Bleiben. Doch nirgends passte es rein. Überall zeigten die anderen Tiere auf das Krokodil. Niemand hieß es willkommen. Wie sein Rucksack wurde es immer leerer und kleiner. Und es war so müde!

Als es sich vollkommen erschöpft irgendwo an Land schleppt, will es sich nur ausruhen. Umso überraschter ist es, als es erwacht. Denn es wartet eine wundervolle Überraschung. Weil es sie durchaus gibt. Die sicheren Orte. Mit herzlichen Wesen.

Aufklärend und Hoffnung stiftend

Rückenansicht des Bilderbuches „Das Krokodil sucht eine neue Heimat“ von Yoeri Slegers

Yoeri Slegers‘ Bilderbuch „Das Krokodil sucht eine neue Heimat“ erzählt von Flucht. Von Angst, Ablehnung und Erschöpfung. Aber auch von Mitgefühl und einem Ankommen. Der Belgier zeigt in seiner Fabel anhand eingängiger, kindgerechter Bilder die lange Reise eines Flüchtlings. Der eben noch gut lebte. Doch plötzlich heimatlos ist.

Dass es sich dabei um ein vermeintlich starkes, gefährliches Krokodil handelt, macht die ablehnende Haltung der anderen Tiere nachvollziehbarer. Dennoch gehört unsere Sorge dem müden Reisenden. Der dann von den Kleinsten und harmlosesten endlich Hilfe erhält. Sich integriert. Dazu gehört und seine neue Heimat aufs Beste ergänzt. Welch wundervolle Botschaft.

Ein aufklärendes, hoffnungsstiftendes Kinderbuch für kleine Weltenretter ab drei Jahren.

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„Die Stille des Meeres“ von Donal Ryan

"Die Stille des Meeres" von Donal Ryan

Der Lebende

„Der Krieg war allmählich gekommen, war um sie herum gewachsen und nicht plötzlich vor ihrer Tür ausgebrochen. Die Polizei war zur Miliz geworden. Die Stadt hatte sich mit bewaffneten Fremden gefüllt.“

Farouks Frau und Tochter verhüllen sich nicht. Farouk selbst praktiziert seinen Glauben nicht konsequent. Der Arzt und seine Familie schweben in Gefahr. Buchen Plätze für eine Reise in die Sicherheit. Auf dieser Reise verliert Farouk alles, was ihm etwas bedeutet.

Der Leidende

Lampy zerfließt in Selbstmitleid, seit ihn seine große Liebe verlassen hat. Der Anfang 20-Jährige tröstet sich mit Sex in einer oberflächlichen Beziehung. Verdient sich ein paar Euro bei Aushilfsjobs im Seniorenheim. Lebt bei seiner Mutter und seinem Großvater. Mit dem er immer wieder aneinandergerät. „Im Moment hatte er wirklich Scheiße am Schuh.“

Der Lobbyist

„Ein paar Dinge möchte ich mir von der Seele reden, bevor ich gehe. Ich spüre den Atem der Engel im Nacken.“ Und John hat sich einiges von der Seele zu reden. Viel zu beichten. Ein reiches Leben liegt hinter ihm. Ein Leben voller Egoismus.

„Ich hatte schon immer ein teuflisches Händchen dafür, Hass zu sähen… Wenn Du etwas nur oft genug behauptest, wird es durch die Wiederholung zur Wahrheit. Egal was, egal wie verrückt es klingt, jede Behauptung kann sich in einen Fakt verwandeln.“

Beeindruckend reich, berührend feinfühlig

"Die Stille des Meeres" von Donal Ryan

Donal Ryan stellt uns in seinem Episodenroman „Die Stille des Meeres“ drei Männer vor. Drei Männer, die sich in Alter, Herkunft, Erfahrung komplett unterscheiden. Und doch verknüpft das Schicksal ihre Lebenswege. Führt sie zusammen. Ruhig und unbemerkt.

Ryan entwirft spannende, zerrissene, menschliche Charaktere. Lässt seine Protagonisten leiden. Heischt nicht um Zuneigung. Seine Figuren sind fehlbar. Voller Ecken und Kanten; Schmerz, Wut und Verzweiflung.

Selbst seine Nebenfiguren strahlen. Gerade seine Nebenfiguren! Durch einzelne Sätze; durch komprimierte Beschreibungen, typische Redewendungen. In wenige, ruhige Zeilen packt der Ire eine umfangreiche Welt mit zahlreiche individuellen Mikrokosmen. Beeindruckend reich, berührend feinfühlig.

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„Der Koffer“ von Chris Naylor-Ballesteros

„Der Koffer“ von Chris Naylor-Ballesteros

„Eines Tages erschien ein seltsames Tier, das staubig, müde, traurig und ängstlich aussah.“ Was verbirgt sich wohl in seinem Koffer? Eine Tasse? Dafür ist der Koffer doch viel zu groß! Dass der Fremde dann auch einen Tisch und Stuhl und Küche im Koffer haben will, das kann ja wohl nicht sein. So groß ist der Koffer nun auch nicht.

Erschöpft schläft das fremde Tier ein. Misstrauisch beäugt von den heimischen Tieren. Argwöhnisch überlegen sie, was zu tun sei. Sie handeln. Brechen den Koffer auf. Aber was sie finden, überrascht sie. Beschämt sie.

Nun, sie machen es wieder gut. Entschuldigen sich. Reparieren, was kaputt ging. Gehen auf den Fremden zu. Und heißen ihn willkommen.

„Der Koffer“ – Kindlich, klar, konkret

Chef (7) und Vizechef (4) waren genauso neugierig, wie die Tiere. Was steckt bloß in dem Koffer? Warum ist der Fremde so müde? Sie verfolgten die Gespräche der Tiere. Erst zweifelnd. Dann ungläubig. Zuletzt entsetzt.

Das geht doch nicht! Oder doch? Nein! Das darf man doch nicht! Die Jungs verstanden nicht, was da vor sich ging. Der Große versteckte sich gar hinter einem Kissen. Und ich schwöre: Ich hörte Steine von Herzen purzeln, als die Tiere sich entschuldigten. Widergutmachung leisteten. Dem Fremden halfen. Alles gut wurde.

Welch Kraft doch in einer so einfachen Bildergeschichte stecken kann! Wie wenig es braucht, um das Richtige zu sagen. Das Wichtige zu zeigen. Ein paar wohl gesetzte Sätze. Präzise platzierte Zeichnungen. Beeindruckend!

Vollkommen zurecht ist „Der Koffer“ für den HUCKEPACK Bilderbuchpreis 2021 nominiert. Dieses wundervolle Bilderbuch thematisiert Fremdenfeindlichkeit und die Angst vor dem Unbekannten kindgerecht klar, unaufgeregt spannend und herzerwärmend direkt.

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Florian L. Arnold: „Pirina“

Florian L. Arnold: "Pirina"
„Pirina“

Sie verloren ihre Familien. Flohen vor Krieg, Tyrannei, Faschismus. Nahmen unglaubliche Strapazen auf sich. Reisten in ständiger Lebensgefahr. Ließen Wegefährten hinter sich. Strebten in Richtung der gelobten Stadt am Meer. In ein anderes Land. In den Frieden.

Um sich in einem Haus zu treffen, dessen Namensschilder immer leer blieben. In dem niemand gefunden werden wollte. In dem die Wände dünn waren. Sie glaubten nicht an die Liebe. Und fanden sie doch.

Eine poetische Liebesgeschichte

Florian L. Arnold erzählt in „Pirina“ eine poetische Liebesgeschichte. Eine Geschichte voll Horror; eine Geschichte voll Hoffnung. In dichterischen Sätzen, fast lyrisch, legt er das Schicksal seiner Protagonisten vor unsere Füße. Schreibt es in unser Herz. Berichtet von Tod, Flucht und Schuld. Genauso wie von Mut und Lebenslust, vom Durchhalten und der wahren Liebe.

Ich las mir viele Passagen laut vor. Genoss die wohlgesetzten Worte. Die klangvollen Sätze. Fast wirkt „Pirina“ wie ein 192-seitiges Gedicht. Mal mehr, mal weniger rhythmisch. Doch immer ästhetisch. Kunstvoll. Das mag teilweise verwirren. Zwischen Zeitsprüngen und Gedankengängen verirrte ich mich gar ein wenig. Doch von graden Wegen halte ich wenig. Auch in Arnolds Grafiken, verlor ich mich angenehm.

Keine leichte Lektüre

„Prinina“ ist keine leichte Lektüre. Sie schmeichelt nicht. Sie fordert. Und das zu Recht!

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Realistisch und berührend: „Das Schicksal der Sterne“

Daniel Höra: Das Schicksal der Sterne
Daniel Höra: Das Schicksal der Sterne

Der 15-jährige Adib flüchtete mit seiner Familie aus Afghanistan. Nach einer traumatischen Odyssee gelangte er nach Berlin. Dort lernt er den 70 Jahre älteren Karl kennen. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern und Zeiten und doch verbindet sie etwas. Denn auch Karl war ein Flüchtling. Als er so alt war wie Adib vertrieben ihn die Besatzungskräfte aus seiner schlesischen Heimat. Nach seiner eigenen Odyssee landete er – wie Adib – in Berlin. Dieses Band (und die Faszination für die Sterne) verbindet den alten Mann und den Jungen.

Das Schicksal der Sterne des Wahlberliners Daniel Höra ist ein unglaublich aktuelles wie zeitloses Buch. Es packte mich auf den ersten Seiten und hielt mich bis zur letzten gefangen. Realistisch und berührend: „Das Schicksal der Sterne“ weiterlesen