Der Lebende
„Der Krieg war allmählich gekommen, war um sie herum gewachsen und nicht plötzlich vor ihrer Tür ausgebrochen. Die Polizei war zur Miliz geworden. Die Stadt hatte sich mit bewaffneten Fremden gefüllt.“
Farouks Frau und Tochter verhüllen sich nicht. Farouk selbst praktiziert seinen Glauben nicht konsequent. Der Arzt und seine Familie schweben in Gefahr. Buchen Plätze für eine Reise in die Sicherheit. Auf dieser Reise verliert Farouk alles, was ihm etwas bedeutet.
Der Leidende
Lampy zerfließt in Selbstmitleid, seit ihn seine große Liebe verlassen hat. Der Anfang 20-Jährige tröstet sich mit Sex in einer oberflächlichen Beziehung. Verdient sich ein paar Euro bei Aushilfsjobs im Seniorenheim. Lebt bei seiner Mutter und seinem Großvater. Mit dem er immer wieder aneinandergerät. „Im Moment hatte er wirklich Scheiße am Schuh.“
Der Lobbyist
„Ein paar Dinge möchte ich mir von der Seele reden, bevor ich gehe. Ich spüre den Atem der Engel im Nacken.“ Und John hat sich einiges von der Seele zu reden. Viel zu beichten. Ein reiches Leben liegt hinter ihm. Ein Leben voller Egoismus.
„Ich hatte schon immer ein teuflisches Händchen dafür, Hass zu sähen… Wenn Du etwas nur oft genug behauptest, wird es durch die Wiederholung zur Wahrheit. Egal was, egal wie verrückt es klingt, jede Behauptung kann sich in einen Fakt verwandeln.“
Beeindruckend reich, berührend feinfühlig
Donal Ryan stellt uns in seinem Episodenroman „Die Stille des Meeres“ drei Männer vor. Drei Männer, die sich in Alter, Herkunft, Erfahrung komplett unterscheiden. Und doch verknüpft das Schicksal ihre Lebenswege. Führt sie zusammen. Ruhig und unbemerkt.
Ryan entwirft spannende, zerrissene, menschliche Charaktere. Lässt seine Protagonisten leiden. Heischt nicht um Zuneigung. Seine Figuren sind fehlbar. Voller Ecken und Kanten; Schmerz, Wut und Verzweiflung.
Selbst seine Nebenfiguren strahlen. Gerade seine Nebenfiguren! Durch einzelne Sätze; durch komprimierte Beschreibungen, typische Redewendungen. In wenige, ruhige Zeilen packt der Ire eine umfangreiche Welt mit zahlreiche individuellen Mikrokosmen. Beeindruckend reich, berührend feinfühlig.
„Die Stille des Meeres“ hallt nach.
Farouks Schicksal ist das offensichtlich härteste. Das, welches mich am direktesten traf. Ich war froh, dass er der erste ist, den wir kennenlernen. Das ich seinen Weg schnell hinter mir hatte. Doch im Nachhinein knabbere ich viel mehr an den Schicksalen der beiden anderen Protagonisten. Sie lassen mich nicht los.
Was wird aus Lampy? Welche Weichen hätten bei Ryan anders gestellt sein müssen? Hätten anderen Vorbedingungen überhaupt etwas verändert? Oder ist unsere Natur, unser Weg zementiert?
„Die Stille des Meeres“ hallt nach. Die Welt ist ein Dorf!
„Was vergangen ist, können wir nicht ändern, und was die Zukunft bringt, wissen wir nicht, aber man kann sich nicht sein ganzes Leben lang Sorgen machen. Ist einfach nicht möglich. Mann muss Gutes tun, und dann wird man irgendwann ein gutes Leben gehabt haben.“
Ich danke dem Diogenes Verlag für mein kostenloses Leseexemplar.
Titel: Die Stille des Meeres
Originaltitel: From a Low and Quiet Sea
Geschrieben von: Donal Ryan
Übersetzt von: Anna-Nina Kroll
Genre: Drama, Gegenwartsliteratur, zeitgenössische Literatur, Episodenroman
Themen: Lebenswege, Entscheidungen, irische Autoren, Flucht, Verlust
Format: Leinengebunden mit Schutzumschlag; 288 Seiten
Verlag: Diogenes
Erscheinungsdatum: 26. Mai 2021
ISBN: 978-3-2570-7116-0
Preis: 22 €
„Die Stille des Meeres“ beim Verlag: Zum Buch
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