„Vincent und ich“ von Stefan Karch

Das Bilderbuch „Vincent und ich“ von Stefan Karch vor einer alten Backsteinmauer

„Wenn ich ein Tier wäre, dann wäre ich ein Hase.
Ein scheuer, stiller Hase mit großen Augen, denen nichts entgeht.“

So sieht sich der Erzähler. Andere Kinder fragen ihn selten, ob er mit ihnen spielen will. Manchmal fühlt er sich unsichtbar. Wie weit weg. Doch dann kommt ein Neuer in seine Klasse: Vincent.

„Er sieht mich. Er möchte, dass wir befreundet sind.“

Von nun an sind die beiden unzertrennlich. Plötzlich sehen ihn auch die anderen. Wenn Vincent ein Tier wäre, dann ein Nashorn. Stark und wehrhaft. Furchteinflößend. Mit dicker Haut. Wie sein Vater. Der schon lange weg ist. Der die Kopfnüsse mitnahm. Zusammen spielen die beiden Jungs wild und frei. Sind unbesiegbar.

„Doch manchmal wird aus Vincents Wildheit Wut.
Dann macht er etwas kaputt. Oder tut jemandem weh.“

Als sich Vincents Wut gegen einen Jungen aus der Parallelklasse richtet, muss sich der Erzähler entscheiden. Bleibt er an Vincents Seite. Oder steht er Paul zur Seite.

„Vincent und ich“ gehört in jede Schulbibliothek!

Der Buchrücken des Bilderbuchs „Vincent und ich“ von Stefan Karch

„Vincent und ich“ löst bei mir Gänsehaut aus. Jedes Mal, wenn ich es lese. Das Bilderbuch bietet keine einfache Lösung. Zwar entscheidet sich der Erzähler mutig für den Weg der Zivilcourage. Doch was ist mit Vincent? Der selbst doch so verloren ist. Der selbst so dringend Halt bräuchte. Einen Freund, der ihm hilft zu verstehen, dass dicke Haut und Hörner verhindern zu fühlen. Verhindern, sich nah zu sein.

Dieses wertvolle Bilderbuch möchte ich jeder Lehrerin, jedem Schulbibliothekar, jeder Kinder- und Jugendtherapeutin, allen Eltern und eigentlich überhaupt Jedem ans Herz legen. Es fordert auf zu diskutieren. Zu philosophieren. Über Freundschaft und Gesellschaft. Anstifter und Mitläufer. Richtig und Falsch. Gut und Böse. Ursache und Wirkung.

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„Klaus muss raus“ von Maiken Brathe

Der Roman „Klaus muss raus“ von Maiken Brathe

„All das ist Heinz. Praktisch überall ist er im Haus. Er ist das Haus… Und was bin ich? …
Wann war ich mal ich selbst? Nur bei den Pusteblumen, wenn ich zusah, wie die Samen durch die Luft getragen wurden und Frau Reineke rote Flecken im Gesicht bekam, wenn sie mich am Gartenzaun beim Pusten erwischte.“

Seit 40 Jahren lebt Edith im Haus ihres Mannes. Nach einer verhängnisvollen Nacht, in welcher der weit ältere Mann das 19-jährige Mädchen schwängerte. Nun ist Heinz tot. Und Edith frei. Doch so einfach ist das nicht. Nach all den Jahren unter der Knute ihres bevormundenden, herablassenden Ehemannes. Unter dem strengen Blick der übergriffigen Nachbarin. Mit dem Langzeit-Stubenhocker Klaus an der Backe. Wer ist sie denn überhaupt?

Mit Pudel Paulchen bahnt sich Edith ihren Weg. Aus dem Haus. Durch den Wald. Ins Leben. Denn auf ihren Streifzügen mit dem betagten Hund begegnet sie Kim. Kim, die alle lokalen Hundemenschen kennt. Kim mit dem wippenden Mantel. Die Frauen mag. Kim ohne Angst.

„Ist nichtvorhandene Angst automatisch Mut? Ich denke nicht. Ich will nicht mutig sein. Ich will nur einfach keine Angst mehr haben, etwas falsch zu machen. Falsch zu sein.“

Ach, Edith!

Rücken des Romans „Klaus muss raus“ von Maiken Brathe

Maiken Brathe gibt Ediths leiser Stimme Raum. Lässt sie wachsen. Langsam, einfühlsam; mit viel Witz und Verständnis. Ediths Geschichte, ihr Verhalten wirken aus einer anderen Zeit. Doch gibt es sie noch. Die Frauen, denen nie eine eigene Meinung zugesprochen wurde. Die nie lernten, eigenständig denken zu dürfen. Denen immer wieder sämtliche Türen vor der Nase zugeknallt wurden. Die schlussendlich daran glauben, dass sie nichts können. Nichts sind. Und es gibt deren Kinder, die das Weltbild weiter in sich tragen. So wie Klaus.

Klaus! Was verabscheute ich ihn. Diesen Unsympath. Diesen grobschlächtigen Idioten. Dieses Abziehbild seines Vaters. Wie sehr wollte ich Edith ihre Muttergefühle aus dem Leib schütteln. Ihr die Augen öffnen. Nur um wenige Stunden später verklärt auf meine Kinder zu blicken. Und Edith plötzlich zu verstehen. All ihre Schuldgefühle. All ihr Nachgeben. Sämtliche Versuche ihre Brut zu schützen. Selbst die Scham, an und mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu scheiten. Ach, Edith!

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„Kleiner Löwe, großer Mut“: Eine ganz persönliche Mut-Geschichte

"Kleiner Löwe, großer Mut" von Tom Belz, Carolin Helm und Alexandra Helm

„Wenn du schnell genug, tapfer genug, schön genug oder stark genug bist, dann schaffst du alles. Was aber, wenn du einfach ganz normal, strubbelig und vielleicht nicht der beste bist?“

Das fragte sich Abenteurer Tom Belz auf Instagram. Der Kilimandscharo-Bezwinger vermisste „Geschichten, welche Kindern beibringen, dass man nicht in allem der Beste sein muss“. Geschichten, durch die sie erkennen, Vertrauen in sich selbst zu haben. Geschichten, durch die sie erkennen, dass es manchmal Mut bedarf. Und so schrieb er sein ganz eigenes Mutmach-Buch. Die Geschichte vom kleinen Löwen Tobe.

„Das Leben ist da, um gelebt zu werden“

Tobe hat drei Beine. „Ein Bein hat Tobe nämlich verloren. Das passiert Löwen genauso wie Menschen. Manchmal ist eine Krankheit schuld, manchmal ein Unfall und manchmal ein Krokodil.“ Nun will Tobe aber wieder loslegen. „Das Leben ist da, um gelebt zu werden“.

Doch irgendwie läuft es nicht mehr rund. Seine Freunde wollen ihn schonen, beschützen, behüten; sie sorgen sich und lassen ihn gewinnen. Dabei ist Tobe doch noch immer Tobe. Er ist ein Löwe. Er will Löwensachen machen. Um es allen zu zeigen, will er auf den höchsten Berg laufen – „bis zu den Wolken“. Tobe erklimmt den Gipfel. Mutig und stark. So mutig und stark sogar, dass er erkennt: Es vollkommen in Ordnung auch mal Hilfe anzunehmen.

Tom Belz‘ erzählt in seinem Bilderbuch „Kleiner Löwe, großer Mut“ eine mitreißende, lehrreiche, Mut machende Geschichte. Ich las die Geschichte auf dem Spielplatz als Rezensions-PDF auf dem Familien-Tablet. Meine Jungs zündelten sehr konzentriert an imaginären Sandlagerfeuern. Doch der Dreijährige spinkste bei einem seiner Kontrollbesuchen auf’s Tablet. Und fragte mich, warum der kleine Löwe traurig sei. Das Ende des Buches war nah. So fasste ich zusammen was bisher geschah. Ich dachte, das würde dem Vizechef reichen. Pustekuchen! Nun wollte er alles ganz genau wissen. Alles sehen.

Sie schauten und lauschten und grinsten

"Kleiner Löwe, großer Mut" von Tom Belz, Carolin Helm und Alexandra Helm (Foto: arsEdition)
(Foto: arsEdition)

Der Sechsjährige gesellte sich zu uns und beide schauten und lauschten und grinsten. Irgendwie wissend. Irgendwie weise. Auf jeden Fall bezaubernd bezaubert. Dem Chef gefiel besonders, dass Tobe den Berg erklommen hatte. Sich nicht aufhalten lies. Sein Ding machte. Dem Vize gefiel es, dass ihm geholfen wurde. Und wie ihm geholfen wurde. Und dass das für den kleinen Löwen dann auch ok war. Ich liebe meine Kinder! ?

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