„Erden“ von Dóri Varga

Die zweisprachige Lyrik-Sammlung „Erden“ von Dóri Varga auf bretonischem Granit. In der Ferne sieht man das Meer.

„Dieser Körper
ist eine Abbildung jedes Atemzugs.
Dieser Körper
ist der Klang von Zuhause.“

Aus „Kenne mich“ (Seite 57)

„Erden“ versammelt feministische Poesie; unabhängig und selbstständig – frei. Dóri Varga widmet ihren Gedichtband hoffnungsvollen Frauen. Und Frauen sind immer (wieder) Thema ihrer 26 Gedichte, die in diesem wunderschönen Buch zusammen gefunden haben. Aus ihrer Lyrik quellen wilde, wirre, weibliche Gedanken verschiedener Phasen des Lebens und der Liebe.

Schutzumschlag-Rückseite der Poesiesammlung „Erden“ von Dóri Varga

„So I let my heart break
Make room
For loving you more.”

Aus „Pines and Qudhacs“ (Seite 46-53)

Die zweisprachige Lyriksammlung der Weltbürgerin Varga verführt zum Immerwiederdrinblättern. Dazu, die Wörter des Gelesenen im Kopf zu jonglieren. Sie schmelzend über Wunden zu gießen. Bröckelnd in Gedanken zu streuen. Sie inspiriert zu Eigensatzfragmentschöpfungen und schafft kreative Miniaturauszeiten.

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„Klaus muss raus“ von Maiken Brathe

Der Roman „Klaus muss raus“ von Maiken Brathe

„All das ist Heinz. Praktisch überall ist er im Haus. Er ist das Haus… Und was bin ich? …
Wann war ich mal ich selbst? Nur bei den Pusteblumen, wenn ich zusah, wie die Samen durch die Luft getragen wurden und Frau Reineke rote Flecken im Gesicht bekam, wenn sie mich am Gartenzaun beim Pusten erwischte.“

Seit 40 Jahren lebt Edith im Haus ihres Mannes. Nach einer verhängnisvollen Nacht, in welcher der weit ältere Mann das 19-jährige Mädchen schwängerte. Nun ist Heinz tot. Und Edith frei. Doch so einfach ist das nicht. Nach all den Jahren unter der Knute ihres bevormundenden, herablassenden Ehemannes. Unter dem strengen Blick der übergriffigen Nachbarin. Mit dem Langzeit-Stubenhocker Klaus an der Backe. Wer ist sie denn überhaupt?

Mit Pudel Paulchen bahnt sich Edith ihren Weg. Aus dem Haus. Durch den Wald. Ins Leben. Denn auf ihren Streifzügen mit dem betagten Hund begegnet sie Kim. Kim, die alle lokalen Hundemenschen kennt. Kim mit dem wippenden Mantel. Die Frauen mag. Kim ohne Angst.

„Ist nichtvorhandene Angst automatisch Mut? Ich denke nicht. Ich will nicht mutig sein. Ich will nur einfach keine Angst mehr haben, etwas falsch zu machen. Falsch zu sein.“

Ach, Edith!

Rücken des Romans „Klaus muss raus“ von Maiken Brathe

Maiken Brathe gibt Ediths leiser Stimme Raum. Lässt sie wachsen. Langsam, einfühlsam; mit viel Witz und Verständnis. Ediths Geschichte, ihr Verhalten wirken aus einer anderen Zeit. Doch gibt es sie noch. Die Frauen, denen nie eine eigene Meinung zugesprochen wurde. Die nie lernten, eigenständig denken zu dürfen. Denen immer wieder sämtliche Türen vor der Nase zugeknallt wurden. Die schlussendlich daran glauben, dass sie nichts können. Nichts sind. Und es gibt deren Kinder, die das Weltbild weiter in sich tragen. So wie Klaus.

Klaus! Was verabscheute ich ihn. Diesen Unsympath. Diesen grobschlächtigen Idioten. Dieses Abziehbild seines Vaters. Wie sehr wollte ich Edith ihre Muttergefühle aus dem Leib schütteln. Ihr die Augen öffnen. Nur um wenige Stunden später verklärt auf meine Kinder zu blicken. Und Edith plötzlich zu verstehen. All ihre Schuldgefühle. All ihr Nachgeben. Sämtliche Versuche ihre Brut zu schützen. Selbst die Scham, an und mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu scheiten. Ach, Edith!

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„Miroloi“ von Karen Köhler

"Miroloi" von Karen Köhler
„Miroloi“

Sie war ein Findelkind. Wurde vom Betvater gefunden. Gewickelt in die Zeitung des letzten Jahres. Ihre Mutter? Unbekannt. Von hier – von der schönen Insel – konnte sie nicht sein. Dennoch: Der Betvater nahm sie auf. Zog sie groß. Das Dorf duldet sie. Nennt sie Eselshure. Verachtet sie. Quält sie. Sie denkt einfach. Simpel. Sie singt beim Singen. Kocht beim Kochen.

Bis ihr Ziehvater ihr das Lesen beibringt. Bis ihre Mentorin und einzige Vertraute ihr Weltbild auf den Kopf stellt. Bis eine Dorffrau ihre Freundin wird. Und sie ihre Sexualität entdeckt. Vielleicht gar so etwas wie Liebe. Bis sie einen Namen erhält.

Ihre Gedanken verselbstständigen sich. Sie kocht nicht mehr beim Kochen. Gießt nicht mehr beim Gießen. Erst ist da ein Funken, dann eine Flamme. Lodernd.

Kein Zurück mehr

Zu Karen Köhlers Romandebüt gibt es die unterschiedlichsten Meinungen. Von erleuchteter Begeisterung über indifferente Unentschlossenheit bis hin zu absolutem Unverständnis oder geringschätzender Besserwisserei. Ich war mir lange unschlüssig, wo ich mich in diesem Reigen einsortieren sollte. Schließlich benötigte ich fast sieben Monate, um „Miroloi“ zu lesen.

Die erste Hälfte zog sich dahin. Seitenweise Wörter, Aufzählungen, eine sich langsam entwickelnde Sprachraffinesse – die literarischen Experimente faszinierten, aber ermüdeten mich auch. In der zweiten Hälfte nimmt die Erzählung dann Fahrt auf. Das Mädchen erwacht in vielerlei Hinsicht. Für sie gibt es kein Zurück mehr in die Zeit vor der Erkenntnis, dem Feuer, dem Wissen. Und für mich gab es auch kein Zurück mehr.

Funken fliegen

"Miroloi" von Karen Köhler
„Miroloi“

Die Memoiren des namenlosen Mädchens erschienen mir glaubwürdig. Erschreckend, grausam und absolut realistisch. Menschliche Gemeinschaft funktioniert so. Leider. Immer noch und immer wieder. Wir suchen Sündenböcke. Außenseiter und Fremde bieten sich an.

Den feministischen Aspekt sah ich dabei weniger deutlich als viele andere Leser*innen. Ja, die Frauen werden besonders unterdrückt. Dürfen per se nicht Lesen. Haben es besonders schwer. Doch Arme, Schwache, Schwule oder Querdenker haben in der Welt der schönen Insel genauso wenig Rechte. Genauso wenig eine Daseinsberechtigung.

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