„Hast du was gehört von der b?“
„Wieso gehört? Was ist denn passiert, ist was passiert?“
„Auf der Klassenfahrt.“
„Ich hab gehört, dass die jetzt alle verwarnt sind.“
„Wie, verwarnt?“
„Eine ganze Klasse?“
So beginnt dieses spannende Stück Literatur. Wir lungern auf einem Schulhof herum und lauschen den Spekulationen. Was – um Himmels willen – ist da bloß bei der Klassenfahrt der 10b passiert?
Die wildesten Spekulationen machen die Runde. Davon, dass die Schüler was in die Luft gejagt haben sollen. Am Flughafen. Ach, ne. Die sind doch mit dem Bus gefahren. Auf jeden Fall haben alle Hausarrest. Und Handyverbot. Bestimmt.
Dieser wilden Flüsterpost lauschen wir ein paar Seiten lang. Um dann das Protokoll der Klassenfahrt lesen zu dürfen. Was als Exkursionsprojekt beginnt, entwickelt sich schnell zum Tagebuch der Vorkommnisse.
Abwechselnd berichten die Schüler von den Erlebnissen: der Reise zum Schullandheim, der Langeweile im Bus, den überraschenden Erkenntnissen über Mitschüler. Über Verspätungen, schlechtes Wetter und missglückte Ausflüge.
Als das Protokoll bei Ole hängen bleibt wird klar, diese Aufzeichnungen sollte niemand sonst in die Finger bekommen. Nur die Klasse. Besonders darf es Klassenleiter Dr. Utz nicht lesen.
Versetzte mich in die Schulzeit zurück
Was Tamara Bach da in ihrem „Sankt Irgendwas“ macht, beförderte mich unerwartet und plötzlich in meine Schulzeit zurück. So plötzlich, wie es noch nicht einmal alte Fotos schaffen. Der Ton, die Sprache, das Gefühl – all das holten mich Ü40er-in dermaßen ab, dass es schon unheimlich war.
Sofort fühlte ich mich zurückversetzt auf diverse Klassenfahrten. Roch den überfüllten Bus. Hörte halblaut gerauntes Gemurmel. Spürte die nervöse Spannung. Dabei empfand ich das sich entwickelnde Drama, wie ich es wohl damals empfunden hätte.
Diese Missverständnisse. Dieses Gefühl von Weltuntergang. Diese unglaubliche Unsicherheit und Angst, was Richtig ist. Was nicht. Dieser Wunsch, dass die Erwachsenen wirkliche Lehrer sind. Und die Enttäuschung, der Ärger, der Frust – als ich erkannte, dass Lehrer genauso fehlbar sind wie alle.
In Ole verliebte ich mich ein Bisschen
Dabei habe ich mich in der 10b wesentlich wohler gefühlt als in meiner eigenen Klasse damals. Mit diesen Jugendlichen wäre ich gerne auf Klassenfahrt gefahren. Besonders in Protollführer Ole verliebte ich mich ein wenig. Aber auch die anderen sind großartig. Zumindest in dem kleinen Moment, den wir mit ihnen erleben. Wie sie in dieser Ausnahmesituation miteinander umgehen. Wie sie zusammenhalten.
Heute – gut 25 Jahre später – kann ich sagen: Eigentlich ist es eine ganz normale Klassenfahrt. Immer gibt es irgendein Drama. Die Herberge scheint einem Horrorfilm entsprungen. Ein Mitschüler eskaliert. Der Bus geht kaputt. Oder eben: Ein Lehrer stößt an seine Grenzen. Doch jedes Mal brechen Welten zusammen.
„Sankt Irgendwas“ fängt all das ein. Und noch mehr. Es ist ein großartiges, beeindruckendes, mitnehmendes Buch. Herzlichen Dank für diese Zeitreise. Herzlichen Dank für das Beschwören lang verschütteter Erinnerungen und Gefühle.
Ein kleiner Nachtrag zum Buch an sich: Mit Lesebändchen und Schutzumschlag gehörte ihm eh direkt mein Herz. Doch der wahre Schatz schlummert unter dem Umschlag. Welch wundervolle Einbandgestaltung!
Ich danke dem Carlsen Verlag für mein kostenloses Rezensionsexemplar.
Titel: Sankt Irgendwas
Geschrieben von: Tamara Bach
Lektoriert von: Katja Maatsch
Genre: Roman, Jugendbuch, Young Adult
Themen: Gesellschaftskritik, Zusammenhalt, Schulzeit, Abschlussfahrten, Gemeinschaft, Erwachsenwerden
Format: Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; 128 Seiten
Verlag: Carlsen
Erscheinungsdatum: 30. Juli 2020
ISBN: 978-3-5515-8430-4
Preis: 13 €
Vom Verlag empfohlenes Alter: ab 14 Jahren
„Sankt Irgendwas“ beim Verlag: Zum Buch
Tamara Bach auf Instagram: @tamarindeb
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