Wenn ich vom perfekten Leben träume, dann träume ich von einem alten, restaurierten Hof mit ein, zwei kleinen Nebengebäuden am Atlantik. Im Westen Frankreichs. In der Bretagne. Steile Klippen, traumhafte Sand-, Stein- und Kieselstrände, duftende Kiefern und Pinien. Der würzige Seegeruch, dessen Algen- und Salzaromen auf die schweren, feuchten Auendüfte des Hinterlandes prallen, seltsam wild und harmonisch. Pickelnder Cidre und nach Meer schmeckender Muscadet. Salzige Butter, reichhaltiges Gebäck, Crêpes und Galettes. Die Bretagne ist mein absolutes Sehnsuchtsland. So viele verwunschene Stunden voll des atemberaubenden bretonischen Lichts verbrachte ich die letzten Jahre mit meinem Mann an der Westküste der großen Halbinsel.
Urlaub in der Nähe des Tatorts
So stand denn auch der Krimi Bretonische Verhältnisse sofort auf meiner Lesewunschliste als es erschien. Doch wie es manchmal so ist… Die Jahre – ja, Jahre! – vergingen. Das Buch wartete geduldig. Bis jetzt. Bretonische Verhältnisse begleitete mich in unseren letzten langen, außersaisonalen Familienurlaub bevor die Schulpflicht des Chefs uns an die Hauptsaison bindet. In die Bretagne. Wo ich das Buch endlich verschlang. Und als Bonus die Orte des Geschehens direkt begutachten konnte. Denn der Tatort lag nicht weit von unserem Feriendomizil.
Erfrischend problemfreier Ermittler
In Pont Avent – der bretonischen Hochburg für kunstinteressierte Urlauber – geschieht ein Mord. Der betagte Hotelier und Kunstmäzen Pierre-Louis Pennec – erstochen! Kommissar Dupin soll den Fall klären. Der vor drei Jahren aus Paris (wegen Dreistigkeiten gegenüber Prominenz und Vorgesetzten) strafversetzte Polizist entlarvt dabei langgehegte Geheimnisse, enthüllt verzwickte Familientragödien und nimmt zahlreiche Verdächtige ins Visier.
Was mir sehr gefiel: Kommissar Dupin ist erfrischend problemfrei. Er hat kein Alkohol- oder Drogenproblem, keine geifernde Ex, keinen Vaterkomplex, kein irgendwie geartetes Trauma oder sonst ein – für Krimi-Protagonisten typisches – Handicap . Er ist lediglich ein wenig zu ehrlich, vielleicht verbal etwas unbeherrscht.
Ruhige Knobelgeschichte mit Reiseführer-Charme
Die sehr klassisch aufgebaute und ruhig erzählte Kriminalgeschichte steht ganz in der Tradition von Miss Marple, Hercule Poirot, Columbo oder Jessica Fletcher (Mord ist ihr Hobby). Dupin befragt die Zeugen und Verdächtigen größtenteils im Alleingang. Er denkt viel und redet wenig. So ziehen sich seine Gedankengänge und Überlegungen über die Seiten. Gedanken zu dem Fall, Gedanken zu seiner Vergangenheit, Gedanken zu seinen bretonischen Lieblingsplätzen. Wer dies nicht so gerne liest wie ich, nicht so ein leidenschaftlicher Liebhaber der Gegend ist, der könnte granteln, dass das doch etwas langatmig sei. Doch ich fühlte mich großartig unterhalten.
Dupins ersten Fall lege ich Fans klassisch-ruhiger Knobelgeschichten ans Herz. Freunden schnell erzählter, Aktion reicher oder blutiger Krimis rate ich dagegen eher ab. Ich selbst habe mich in den Protagonisten, in seine Liebe für die Bretagne, die Bretonen, das bretonische Essen und in seine Plaudergedanken verguckt und werde den Folgebänden auf jeden Fall eine Chance geben. Denn Jean-Luc Bannalec (aka Jörg Bong – ehemaliger Geschäftsführer der S. Fischer Verlage) bringt seit dem ersten Band jedes Jahr einen neuen Fall mit dem bretonischen Pariser heraus. Der achte Band Bretonisches Vermächtnis erscheint übrigens morgen (25. Juni 2019). ;-)
Titel: Bretonische Verhältnisse
Autor: Jean-Luc Bannalec (aka Jörg Bong)
Genre: Roman, Krimi, Bretagne
Format: Taschenbuch; 320 Seiten
Verlag: Goldmann
Erscheinungsdatum: erstmals 12. März 2012 bei KiWi; die mir vorliegende Ausgabe erschien am 19. August 2013 bei Goldmann
ISBN: 978-3-4424-7927-6
Preis: 9,99 €
Der Autor bei Kiepenheuer&Witsch: Zu KiWi