Die Engländerin Helen Franklin lebt ein bescheidenes Leben in Prag. Mit Ihrem spartanischen Lebensstil in ihrem selbstauferlegten Exil geißelt sie sich für eine Sünde, die sie seit langer Zeit mit sich trägt. Eine unverzeihliche, unaussprechliche Sünde. Als ein Freund Helen Dokumente über eine mythische Figur namens Melmoth übergibt, gerät ihr striktes Büßerleben aus dem Takt. Verfolgt Melmoth die Zeugin sie? Hat sie sie schon immer beobachtet? Kommt sie, sie zu holen?
Kein Schauerroman, keine Horrorgeschichte!
Was hab ich mich auf dieses Buch gefreut. Auf atmosphärischen Nervenkitzel während länger werdender Herbstabende. Schließlich verspricht der Rückentext einen fesselnden, unheimlichen Roman mit mysteriöser Gruselgestalt. Doch Sarah Perrys „Melmoth“ ist kein Schauerroman, keine Horrorgeschichte. Der Roman ist viel eher ein Psychogramm; eine philosophische Aufbereitung der Frage nach Schuld und Sühne; nach den Folgen, die unsere Handlungen haben und den Wert des Lebens. Es ist keine leichte Kost und alles andere als einfach zu lesen.
Die Protagonistin lies mich seltsam kalt. Ich fand sie unnahbar und unsympathisch. Ihr Selbsthass schien mir übertrieben. Auch nach der Auflösung noch. Übertrieben und falsch adressiert. Aufgebauscht und egoistisch. Ich verstand, warum sie so war und wieso sie sich ein Gefängnis schuf. Weshalb sie sich quälte. Doch ich kam ihr nicht nah, ich fieberte nicht mit ihr. Ihre Geschichte interessierte mich nach und nach immer weniger. So quälte auch ich mich immer mehr. Ich quälte mich durch die Rahmenhandlung wie durch zähen Morast.
Als wäre das nicht schon schlimm genug, wird der Leser immer wieder direkt angesprochen. Weist der allwissende Erzähler uns auf dies und das hin, lenkt unseren Blick. Ein Stilmittel, das ich manchmal schätze, hier allerdings als nervig und fehl am Patze empfand.
Eine Reise zu den dunklen Seiten in uns
Die Grundlagengeschichten dagegen – die „Primärquellen“, welche Helens Freund zusammentrug – die verschlang ich. Mit ihnen schaffte Perry, was Helens Schwanengesang nicht schaffte: Sie nahmen mich mit zu menschlichen Abgründen; zu den dunklen Seiten in uns, die wir uns nicht eingestehen bis es zu spät ist. Diese Erzählungen legten ihre Finger in die Wunden europäischer Geschichte; beleuchteten Selbstbetrug und Verblendung. Einen Band mit diesen Kurzgeschichten würde ich uneingeschränkt empfehlen.
Unaussprechlich neugierig bin ich nun auf das Werk, welches Sarah Perry wohl zu ihrem Roman inspirierte. „Melmoth der Wanderer“ von Charles Robert Maturin erschien 1820 und beeinflusste das Schaffen von Goethe über Balzac bis Oscar Wilde. Auch Maturin schrieb eine literarische Matrjoschka voller Geschichten in der Geschichte. Leider scheinen die deutschen Ausgaben vergriffen zu sein. Aber ich halte meine Augen offen. ?
Ich danke dem Eichborn Verlag für mein kostenloses Rezensionsexemplar.
Titel: Melmoth
Originaltitel: Melmoth
Autorin: Sarah Perry
Übersetzt von: Eva Bonné
Genre: Roman, zeitgenössische Belletristik, Europäische Literatur, Europäische Geschichte, Psychogramm
Format: Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 336 Seiten
Verlag: Eichborn Verlag (Verlagsgruppe Bastei Lübbe)
Erscheinungstermin: 30. September 2019
ISBN: 978-3-8479-0664-3
Preis: 24 €
Das Buch beim Verlag: Zum Buch
Die Website der Autorin: Zu Sarah Perry
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