Der gewissenhafte Collie Flanagan schlägt aus der Art. Seine Familie besteht nur aus Verrückten. Sein Vater Charlie huldigt seiner eigene Religion aus Faulheit, Katholizismus und spritgetränkten Weisheiten. Seine exzentrisch-rebellisch-zänkische Mutter Anaïs unterstützt Revolutionäre überall auf der Welt – mit dem Geld ihres verhassten, stinkreichen Vaters Zeitungsmogul Peregrine Lowell. Sein jüngerer Bruder Bingo ist ein charmanter, draufgängerischer und unüberlegt handelnder Tunichtgut.
Auch der Bruder von Vater Charlie, Onkel Tom, gehört zur Mischpoke. Als Mädchen für alles nörgelt, putz und kocht er, scheint das chaotische Heim am Meer zusammenzuhalten. Doch als Trunkenbold steht er seinem Bruder in nichts nach, und an Bösartigkeit hält er mit seiner Schwägerin mit. Ergänzt wird dieses menschliche Panoptikum durch eine Horde wuselnder Hunde jeglicher Rasse und Größe.
Collie erzählt, wie er in diesem Durcheinander aufwuchs. Wie er versuchte dazuzugehören, sich anzupassen und es doch nie schaffte. Wie er immer sein Bestes gab, und nichts gut (oder schlecht) genug war. Er berichtet, von seiner Kindheit, seinen Jugendjahren, wie er als junger Erwachsener seinen Weg sucht und als Mittdreißiger meint, ihn gefunden zu haben. Nur um wieder zu straucheln. Immer wieder werfen seine Familie und das Leben ihn aus der Bahn. Immer wieder trifft er Entscheidungen, die er im Nachhinein nur schwer ertragen kann. Immer wieder belädt er sich mit Schuld.
Poetische Metaphergebilde
Elizabeth Kelly besitzt ein unglaubliches literarisches Talent. Lange Schachtelsätze liebe ich nicht. Dennoch begeisterten mich die wunderbaren Satzkonstrukte ihres Debütromans. Die Kanadierin jongliert mit Worten. Baut ihre Geschichte aus poetischen Metaphergebilden in denen der Leser schwelgen und sich verlieren kann. Die verrückten Flanagans stellen sprachlich ein kleines Meisterwerk dar. Großes Lob gebührt hier wohl auch dem Übersetzer.
Bildungsroman ohne Entwicklung
So sehr mich Kellys Erzählkunst auch verzückte, der Geschichte an sich gelang dies nicht. So spleenig und verrückt die semi-irische Sippe auch sein mag, lustig fand ich sie ganz und gar nicht. Insgesamt nervig, lernresistent und unsensibel waren mir sämtliche Charaktere unsympathisch. Insbesondere der Protagonist entwickelt sich nicht, bleibt stumpf und blind in alten Gewohnheiten und Ansichten gefangen anstatt zu lernen, anstatt seinen Blick zu öffnen und weiser aus allem hervorzugehen.
Die Entwicklung macht schließlich einen Bildungsroman aus. Und Die verrückten Flanagans ist definitiv ein Bildungsroman. Der naive Collie verkörpert den Helden des Genres perfekt. Seine Welt steht ihm abweisend gegenüber, nichts läuft so, wie er es sich vorstellt. Ganz klassisch auch, dass sich alle Seiten missverstehen und ablehnen. Nun sollte Collie an seinen Widerständen und Schicksalsschlägen reifen. Doch genau das geschieht hier nicht. Auf mich wirkt er eher statisch, schicksalsergeben und weinerlich. Bis zum Schluss. Obwohl dieser durchaus auch eine andere Deutung zulässt.
Unerträgliches Sein
Letztendlich konnten mich Kellys Sirenengesänge wahrscheinlich nicht verführen, weil mir alle, wirklich alle Charaktere unglaublich unsympathisch waren. Einstellungen, Auftreten, Eigenschaften, Ansichten, Handlungen – es gab nichts, was mich mit ihnen verbunden hätte. Es gab keine Identifikationsfigur. Keinen Moment, in dem ich hätte sagen können: „Ja, das verstehe ich.“ Jeden hätte ich gerne angebrüllt, die Augen zu öffnen. Aufzuwachen. Das Sein nicht so unerträglich zu gestalten. Nicht so dermaßen unerträglich zu sein.
Elizabeth Kelly beweist in Die verrückten Flanagans ihre außerordentliche literarische Begabung. Feinsinnig und ausdrucksstark webt sie dichte, bunte Wortgeflechte. Die größtenteils entwicklungsstarren, unnahbaren Charaktere ließen mich jedoch meist kalt. Es fehlte ein Identifikationsmoment, geschweige denn eine solche Figur. So konnte mich dieses großartig geschrieben Buch leider nicht vollends überzeugen.
Erinnerungen an mein Zuhause verfolgen mich, wohin ich auch gehe, sie kleben mir an den Hacken, hecheln nach Aufmerksamkeit, so unerbittlich wie all die Hunde, die meine Mutter über die Jahre um sich versammelt hat.“ (Seite 8)
Kritik
Elizabeth Kelly besitzt ein unglaubliches literarisches Talent. Lange Schachtelsätze liebe ich nicht. Dennoch begeisterten mich ihre wunderbaren Satzkonstrukte. Sie jongliert mit Worten. Baut ihre Geschichte aus poetischen Metaphergebilden in denen der Leser schwelgen und sich verlieren kann. „Die verrückten Flanagans“ stellen sprachlich ein kleines Meisterwerk dar. Großes Lob gebührt hier wohl auch dem Übersetzer.
So sehr mich Kellys Erzählkunst auch verzückte, der Geschichte an sich gelang dies nicht. So spleenig und verrückt die semi-irische Sippe auch sein mag, lustig fand ich sie ganz und gar nicht. Insgesamt nervig, lernresistent und unsensibel waren mir sämtliche Charaktere unsympathisch. Insbesondere der Protagonist entwickelt sich nicht, bleibt stumpf und blind in alten Gewohnheiten und Ansichten gefangen anstatt zu lernen, anstatt seinen Blick zu öffnen und weiser aus allem hervorzugehen.
Die Entwicklung macht schließlich einen Bildungsroman aus. Und „Die verrückten Flanagans“ ist definitiv ein Bildungsroman. Der naive Collie verkörpert den Helden des Genres perfekt. Seine Welt steht ihm abweisend gegenüber, nichts läuft so, wie er es sich vorstellt. Ganz klassisch auch, dass sich alle Seiten missverstehen und ablehnen. Nun sollte Collie an seinen Widerständen und Schicksalsschlägen reifen. Doch genau das geschieht hier nicht. Auf mich wirkt er eher statisch, schicksalsergeben und weinerlich. Bis zum Schluss. Obwohl dieser durchaus auch eine andere Deutung zulässt.
Letztendlich konnten mich Kellys Sirenengesänge wahrscheinlich nicht verführen, weil mir alle, wirklich alle Charaktere unglaublich unsympathisch waren. Einstellungen, Auftreten, Eigenschaften, Ansichten, Handlungen – es gab nichts, was mich mit ihnen verbunden hätte. Es gab keine Indentifikationsfigur. Keinen Momont, in dem ich hätte sagen können: „Ja, das verstehe ich.“ Jeden hätte ich gerne angebrüllt, die Augen zu öffnen. Aufzuwachen. Das Sein nicht so unerträglich zu gestalten. Nicht so dermaßen unerträglich zu sein.
Fakten
Mein Taschenbuch ist im September 2011 erschienen, kostet 8,99 Euro und hat 399 Seiten. Der (sehr passende) Originaltitel lautet „Apologize, Apologize!“
ISBN: 978-3-453-35503-3
Fazit
Elizabeth Kelly beweist in „Die verrückten Flanagans“ ihre außerordentliche literarische Begabung. Feinsinnig und ausdrucksstark webt sie dichte, bunte Wortgeflechte. Die größtenteils entwicklungsstarren, unnahbaren Charaktere ließen mich jedoch meist kalt. Es fehlte ein Identifikationsmoment, geschweige denn eine solche Figur. So konnte mich dieses großartig geschrieben Buch leider nicht vollends überzeugen.