Das pastellfarbene, unaufgeregt-ansprechende Cover von „Am Tag und in der Nacht“ weckte herbstlich-romantischen Gefühle in mir. Die Geschichte sollte laut Rückentext von einer jungen Frau handeln, die einen schweren Schicksalsschlag mit Hilfe alter Briefe und der Kunst überwindet. Alles sprach dafür, dass der Debütroman der Britin Camilla Macpherson die perfekte Lektüre für sentimental-goldene Oktobertage wäre. So schlug ich das schön gestaltete Taschenbuch auf und las.
„Ihr Leben, ihre Ehe waren einmal leicht gewesen, damals als Rob instinktiv zu wissen schien, wie er ihre Tränen trocknen und sie zum Lachen bringen konnte…Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal gelächelt hatte…Und doch war es noch gar nicht so lange her, erst ein paar Wochen und Monate, dass sie verliebt gewesen war. Sie war sicher gewesen, dass Rob für immer an ihrer Seite sein würde. …Und dann hatte Rob seinen Teil des Abkommens nicht eingehalten, er hatte sie im Stich gelassen, als sie ihn gebraucht hatte. Er hätte einfach nur da sein müssen, war es aber nicht.“ (Seite 12)
Nichts wünscht sich das frisch verheiratete Paar mehr als ein Baby. Glücklich genießen Claire und Rob die ersten Monate der Schwangerschaft, teilen die frohe Botschaft Freunden und Verwandten mit, planen voller Vorfreude alles, was kommt. Bis zu dem Abend, an dem Rob seine Frau wegen eines Arbeitstreffens versetzt, Rüpel der Schwangeren die Handtasche entreißen, Claire hart auf den Asphalt fällt und eine Fehlgeburt erleidet.
Claire gibt ihrem Mann die Schuld, schiebt ihn von sich, vergräbt sich in Schuldgefühle und baut eine Mauer aus Schweigen und Verachtung. Allein die Briefe einer entfernten Verwandten ihres Mannes berühren etwas in ihr.
Daisy schickte diese Briefe vor fast 70 Jahren aus dem kriegsgeplagten London an ihre Cousine in Kanada. Sie schreibt von ihrem Verlobten, ihrem aufregendem Leben in der gefährdeten Hauptstadt, über das Gemälde des Monats in der National Gallery – und über eine Affäre.
„Nach all diesem Chaos ist es in der Gallery schön still. Nach so langer Zeit wieder dort zu sein war eigentlich ziemlich traurig. Früher einmal war es so großartig dort, und davon ist nichts mehr zu spüren, jedenfalls nicht im Hinblick auf Kunst. Aber wenigstens ist jetzt dort das Gemälde des Monats, und gelegentlich gibt es eine Sonderausstellung. Eine weitere große Attraktion sind die Konzerte, die jeden Mittag dort stattfinden – du hast vermutlich davon gehört.“ (Auszug aus Daisys erstem Brief, Seite 23)
Tieftraurige Grundsituation
Die Grundsituation ist tieftraurig. Ein junges Paar, das sich unglaublich auf sein erstes Kind freut und dieses verliert. Ich konnte mich in Claire hineinversetzen und fand ihre Abwehrreaktionen glaubhaft. Ich denke, dass viele Ehen eine solche Situation nicht überleben. Auch die Briefe aus der Vergangenheit als Anker und Rettungsnetz, als Weg zurück ins Leben, fand ich spannend und nachvollziehbar.
Unsympathisch und eindimensional
Leider gelingt es Macpherson nicht, das Potenzial der Geschichte auszuschöpfen. Litt ich anfangs noch mit Claire, wurde sie mir von Seite zu Seite unsympathischer. Ihre unbedachte Art, ihre vorgeschobene Trauer, ihre Eindimensionalität gingen mir auf die Nerven. Nach der Lektüre, bleibt sie mir nur als dumme, blauäugige Zicke im Gedächtnis. Ihr Mann Rob bleibt ein blasses, emotionsloses Wesen, unempathisch und selbstbezogen. Und Daisy aus der Vergangenheit wirkt in ihren Briefen wie ein patziges Kind.
Zuviel des Guten
Die Aussicht darauf, dass Daisy die Gemälde des Monats in ihren Briefen vorstellt, machte mich neugierig. Auf diesem Wege einige Meisterwerke kennenzulernen, erschien mir angenehm. Die ersten Kapitel freute ich mich auch auf die Beschreibungen. Doch das ließ recht schnell nach. Nicht nur Daisy beschreibt in ihren Briefen die Bilder. Der personale Erzähler stellt jedes Bild durch Claires Augen noch einmal vor. Gegen Ende drängt Macpherson dem Leser sogar noch einen dritten Dozenten in Form eines alten Zeitungsartikels auf. Da bleibt der Spaß auf der Strecke.
Spießiges Weltbild
Insgesamt berührt die – an sich tragische – Geschichte einfach nicht. Belanglose Sätze reihen sich aneinander. Die Charaktere bleiben oberflächlich und blass. Probleme werden nicht gelöst, sondern verdrängt und das spießige Weltbild des Romans wirkt so veraltet wie die staubigen Briefe aus der Vergangenheit.
„Am Tag und in der Nacht“ trägt das Potenzial einer ergreifenden Geschichte in sich. Leider erstickten die unsympathischen Charaktere, das spießige Weltbild und die ausschweifende, belanglose Schreibweise meine anfängliche Begeisterung.