„Gottfried, der Turborabe – Ennos gefährliche Reise“

Gottfried, der Turborabe – Ennos gefährliche Reise
Gottfried, der Turborabe – Ennos gefährliche Reise

Es gibt Bücher, die ich unbedingt gernhaben will, die ich ganz dringend gut finden möchte. Bücher, die wichtige Themen behandeln, deren Idee ich großartig finde und die ich unterstützen möchte. Solch ein Buch ist „Gottfried, der Turborabe – Ennos gefährliche Reise“ von Christoph Fromm und Finja Skadi Vollbrecht zum Thema Flucht.

Rabe Gottfried Primero liebt Regenwürmer mit Sahne. Er ist ein dreister Dampfplauderer und er fliegt nicht gerne selber. Er saust lieber mit seinem Turbodüsenmotor durch die Gegend. Und mit diesem will er nun auch nach Spanien in den Urlaub fliegen. Zu den Flamingomädchen. „Er steht nämlich total auf langbeinige Flamingos.“

Auf der Suche

Über dem Meer gibt sein Düsenmotor plötzlich den Geist auf. Gottfried landet auf Ennos Rettungsring. Enno ist ein kleiner Junge auf der Flucht. Er floh mit seiner Familie aus Afrika, wo er beinahe verhungert wäre. Er repariert Gottfrieds Turbodüsenmotor und zusammen fliegen sie nach Spanien.

Dort will Enno sofort seine Familie suchen. Seine Mama, sein Papa und seine kleine Schwester. Die saßen nämlich auch im Boot, dass von einer großen Welle überspült wurde. Doch Gottfried möchte sich lieber von den Flamingomädchen die Füße kitzeln lassen… Als Gefahr droht, steht er Enno aber weiter zur Seite. Die beiden stellen sich fiesen Widersachen, schlagen ihnen ein Schnippchen und entkommen. Enno und Gottfried werden dicke Freunde und die Suche nach Ennos Familie geht weiter.

Gottfried, der Turborabe – Ennos gefährliche Reise
Gottfried, der Turborabe – Ennos gefährliche Reise (Buchrücken)

Respektlos wie Karlsson vom Dach

Wie gesagt: Es gibt Bücher, die ich unbedingt gernhaben will, die ich ganz dringend gut finden möchte und „Gottfried, der Turborabe“ gehört zu diesen Büchern. Dennoch konnte der freche Rabe nicht bei mir landen. ?

Gottfried ist respektlos wie Karlsson vom Dach. Der vorlaute Rabe schlawinert sich durchs Leben und brachte mich schnell zum Schmunzeln. Warum der Großschnabel aber ein Macho sein muss, der auf langbeinige Flaminogmädchen steht, das ist mir ein Rätsel. Dieses dezent sexistische Geplänkel gehört nicht in ein Kinderbuch. Gerade im Zusammenhang mit den Themen Diversität und Offenheit empfinde ich es als unangebracht.

Edit nach Rückmeldung vom Verlag
Der Verlag betont deutlich, dass es nicht sexistisch sondern tragikomisch gemeint sei. Der kleine, breitfüßige Gottfried träume eben von großen, langbeinigen Flamingomädchen. Mich freut, dass es nicht so gemeint ist. Unabhängig davon, wie es bei mir ankommt, wünschte ich mir, der Held eines Kinderbuches wäre zufrieden mit seinem Körper. Aber das ist ein anderes Thema.

Einen Bösewicht hätte es gar nicht gebraucht

Außerdem stieß mir die Schwarzweiß-Zeichnung übel auf. Das extreme „Gut gegen Böse“. Die Polizei, der Leiter des Flüchtlingsheims und Sohn sind so übertrieben boshaft gezeichnet, dass es grotesk wirkt. Auch wenn es vielleicht so sein mag, finde ich die Darstellung hier überzogen und eindimensional. Die Grundsituation ist schon schlimm genug, einen Bösewicht hätte es hier gar nicht gebraucht.

Absolut unreflektiert finde ich, dass Gottfried bei seinem Ausbruchsplan Gleiches mit Gleichem heimzahlt; seinen Widersacher hinterhältig und unnötig hereinlegt. Wenn jemand doof zu Dir ist, dann sei doof zu ihm? Nein, das ist keine Botschaft, die ich meinen Kindern vermitteln will! Zusätzlich finde ich Gottfrieds Handlung unglaubwürdig. Er macht etwas, was er – meiner Meinung – nach nicht tun würde und verharmlost die Folgen seines Steiches. (Nein Regenwürmer überleben die Reise durch den menschlichen Organismus nicht…).

Der Zielgruppe gefällt’s!

Auch mit dem offenen Ende habe ich so meine Probleme. Die Flucht aus dem Flüchtlingsheim gelingt und die Reise geht weiter. Die Suche nach Mama, Papa und der kleinen Schwester startet hier erst. Es gibt keine Zusammenführung, keine Auflösung. Dieser Cliffhänger ist grausam. Für den kleinen Flüchtlingsjungen wie für meinen mitfühlenden Sechsjährigen. So war das Ende auch das Einzige, was mein Chef an „Gottfried, der Turborabe – Ennos gefährliche Reise“ auszusetzen hatte.

Mein Großer wollte das Buch unbedingt lesen, als er es entdeckte. Die Bilder gefielen dem Chef so gut. Seine Meinung war mir gerade in diesem Punkt sehr wichtig, denn mir gefallen die groben Bilder so gar nicht. Aber für mich sind sie ja auch nicht gedacht. Der fast dreijährige Vizechef mag sie ebenfalls. Wollte direkt mit dem Raben feiern, hat Gottfrieds Charakter also direkt erkannt. ? Der Zielgruppe gefällt die Optik. Darauf kommt’s an. Besonders begeistert war der Sechsjährige übrigens vom Lesebändchen. Supercool!

Bringt das Thema auf den Tisch. Und das ist gut!

Als ich dann die Geschichte zusammenfasste, interessierte den Großen das Buch noch mehr. Schließlich kommt er mit dem Thema hier – mitten in Köln – täglich in Kontakt. Er hatte Flüchtlingskinder in seiner KiTa-Gruppe und auch in der Schule gibt es Kinder mit diesem Hintergrund. Der Chef möchte verstehen. Auch wenn „Gottfried, der Turborabe“ nicht die umsichtigste und emphatischste Lektüre dazu ist, das Bilderbuch bringt das Thema auf den Tisch. Und das ist gut!

Dem Großen gefiel das Buch richtig gut. Beim Vorlesen griff ich jedoch hier und da ein – erzählte von Flamingos, nicht von Flamingomädchen; verwandelte Smoothies in Orangensaft. Kürzte hier den ein oder anderen zu langen oder zu umständlichen Satz; ergänzte dort Hintergrundwissen (warum rennen die Verkäufer vom Strand weg? Was hat es mit diesem Flüchtlingsheim auf sich?); nahm der Ausbruchsszene die gehässige Spitze. So war es dann eine gelungene Vorlesekuschelzeit mit anspruchsvollem Thema bei der auch der Vizechef durchgehend bei uns blieb.

Nachtrag

Selten fiel mir eine Rezension so schwer. Selten wollte ich so sehr, dass Ihr Euch Eure eigene Meinung bildet. Gebt dem Buch und (vor allem!) dem Thema eine Chance. Und redet mit Euren Kindern auch über schwierige Themen.

Ich danke dem Primero Verlag für unser kostenloses Rezensionsexemplar.

Titel: Gottfried, der Turborabe – Ennos gefährliche Reise
Geschrieben von: Christoph Fromm
Illustriert von: Finja Skadi Vollbrecht
Genre: Bilderbuch, Vorlesebuch, Abenteuer, Flüchtlinge, politische Bildung, Bücher für Grundschulkinder, Multikulturalismus, Interkulturelle Erziehung
Format: Hardcover mit Lesebändchen, 76 Seiten
Verlag: Primero Verlag
Erscheinungstermin: 23. Juni 2017
ISBN: 978-3-9818-4542-6
Preis: 12,90 €
Altersempfehlung: ab 6 Jahren
Das Buch beim Verlag (hier gibt’s auch Videos mit Lesungen aus dem Buch): Besuch Gottfried

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Veröffentlicht von

Simone

Das ist mein Blog. Hier tob ich mich aus. ;) Ich bin eine unverbesserliche Leseratte. Mein Herz schlägt aber auch für Filme und Serien, frische Luft, Basteleien und gutes Essen.

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