Ich mag Teenie-Dystopien. Ehrlich! Die Tribute von Panem haben mich gefesselt, Vollendet hat mich begeistert und auch Starters konnte mich immerhin überzeugen. Der Debütroman von Kristen Simmons dagegen enttäuschte, verärgerte und ermüdete mich. Dabei trägt die Grundidee von Artikel 5 einiges an Potenzial in sich.
Amerika in einer nicht näher definierten Zukunft. Nach einem Krieg beherrscht eine religiös, moralorientierte Regierung das Land. Die Verfassung verliert nach und nach an Geltung, wird ersetzt durch Moralstatuten:
Artikel 1: Die Vereinigten Staaten erkennen die Amerikanische Kirche als offizielle Religion an.
Artikel 2: Literatur und andere unmoralischen Medien sind verboten. Ihr Besitz, Erwerb und Verkauf ist strengstens verboten.
Artikel 3: Eine vollständige Familie besteht aus einem Mann, einer Frau und mindestens einem Kind.
Artikel 4: Die traditionellen Geschlechterrollen müssen eingehalten werden.
Artikel 5: Als vollwertiger Staatsbürger wird nur anerkannt, wer als Kind eines verheirateten Paares auf die Welt kommt.
Embers Mutter ist nicht verheiratet, wechselte gar mehrfach ihre Partner. Damit verstößt sie gegen Artikel 3 der Statuten. Und obwohl ihre 17-Jährige Tochter vor dem Krieg geboren wurde, gilt diese nun als unvollständiger Staatsbürger im Sinne des fünften Artikels. So stehen eines Tages die Soldaten der Moral Miliz, wie das Federal Bureau of Reformation flapsig genannt wird, vor der Tür. Sie verfrachten Ember in eine Besserungs- und Resozialisierungsanstalt und stecken ihre Mutter in Arrest.
Getrieben von Fluchtgedanken und dem Wahn, möglichst schnell ihrer hilflosen Mutter zur Rettung zu eilen, macht sich Ember in der Anstalt keine Freunde. In der Stunde ihrer größten Not eilt ihr Chase Jennings zu Hilfe. Ihre große Liebe. Nur leider scheint er nicht mehr der Junge zu sein, in den sie sich verliebte. Als Soldat gehörte er sogar zu der Truppe, die ihre Mutter verhaftete. Auf dem folgenden Roadtrip bleibt sie hin und hergerissen – soll sie ihm vertrauen oder sich möglicht schnell von ihm absetzen.
Puh! Ember, Ember, Ember, was soll ich bloß mit Dir anfangen? Selbst für einen voll pubertierenden, hormongesteuerten Teenager schießt dieser selten dämliche Charakter über alle nachvollziehbaren Motive und Verhaltensmuster hinaus. Ja, Jugendliche sind schwierig. Ja, nicht selten tun und denken sie nicht die klügsten Dinge. Ja, man muss nicht alles nachvollziehen können. Aber hey, dieses verstockte, unempathische, selbstverliebte, egoistische, von sich überzeugte, altkluge, unlogische, dumme, nervige Gör schießt echt den Vogel ab. Lange hat mich ein Protagonist nicht mehr so verärgert (und Protagonisten verärgern mich gar nicht mal so selten). Vielleicht bin ich zu alt, vielleicht zu unnachsichtig, aber weder Katniss Everdeen (Tribute von Panem), noch Callie (Starters) oder gar Harry Potter vermochten es, mich auf die Palme zu bringen. Und die haben die Weisheit auch nicht mit Löffeln gefressen.
Der männliche Gegenpart Chase wirkt durch Embers Augen betrachtet zwar zerrissen und getrieben, aber auch recht eindimensional, dackeldumm und inkonsequent. Sie kannte ihn als sensiblen, zärtlichen Jugendlichen. Dem taffen, klar blickenden, realitätsnahen Soldaten der Moral Miliz, den sie nun in ihm sieht, misstraut sie. Das ist schon nachvollziehbar, jedoch nicht in der manischen Vehemenz, die dieses Mädel an den Tag legt.
Moralstaat, Fanatismus, Unterrückung, Hilf- und Wahllosigkeit, Chaos, schwelender Widerstand und Untergrundbewegung – all das hätte ein solides Gerüst für ein anständiges Jugendbuch bilden können. Doch leider fokussiert Simmons das Geschehen auf Ember und ihren zickigen Ego- …sorry… Roadtrip. Die Welt am Abgrund dahinter stellt sie nur unscharf und in wenigen Ausschnitten dar. So wirkt der totalitäre Staat mit seiner extrem kaputten Gesellschaft unglaubwürdig und nicht greifbar. Zwar passieren regelmäßig Grausamkeiten, doch rissen mich die Ereignisse weder mit noch erschütterte sie mich wirklich. Viel zu schnell dreht sich immer wieder alles um Ember anstatt um das große Ganze.
Auf 200 Seiten hätte die Geschichte von Artikel 5 mich vielleicht noch überzeugen können. Dann hätten sich Embers Gedanken auch nicht so häufig im Kreis gedreht. Für über 400 Seiten geben die dünne Story und die flachen Charaktere aber einfach nicht genug her. Die sehr einfache Sprache trägt den Leser aber immerhin flott durch die schwache, hin und wieder langatmige Erzählung. Dabei stolperte ich jedoch immer wieder über veraltete Worte. Wenn sich Ember etwa fragt, ob Chase keusch gelebt hat, sie Fersengeld geben, sie immer wieder vor Scham vergeht, jemand eine Bürde tragen muss, sie zaudert oder die Beklemmung in ihrer Brust wächst. So denkt doch keine 17-Jährige!
Kristen Simmons Artikel 5 bleibt mir als zickiger Mädchenroman mit sehr dünner Story und extrem nerviger Protagonistin (wahrscheinlich nicht lange) in Erinnerung. Der Roman soll der erste Teil einer Trilogie sein. Die Folgebände werden ihren Weg bestimmt nicht zu mir finden. Wer Jugend-Dystopien mag, dem empfehle ich eher Die Tribute von Panem von Suzanne Collins, Startes von Lissa Price oder Vollendet von Neal Shusterman.