„Und jeden Morgen das Meer“ von Karl-Heinz Ott

"Und jeden Morgen das Meer" von Karl-Heinz Ott

Nun steht sie hier. Auf den walisischen Klippen. Stemmt sich dem Tosen von Wind und Wellen entgegen. Kümmert sich um ein schäbiges, kleines Hotel. Dass höchstens in der Hauptsaison mal ausgebucht ist. Ansonsten tauscht sie nur wenige Worte mit den Stammgästen an der Theke. Oder wärmt Tiefkühlkost für Backpacker auf.

Dabei war Sie Hausherrin eines noblen Hotels am Bodensee. Ihr Mann Bruno ein Sternekoch. Die Größen aus Politik und Wirtschaft gingen bei ihnen ein und aus. Sie waren auf Monate ausgebucht. Doch… der Stern strahlte nicht ewig. Als Bruno ihn verlor, verlor er so viel mehr. Und Sonja geht es nun ähnlich. Ohne Bruno. Der starb. Jedoch schon vorher verloren ging.

Nun steht sie hier. Auf den walisischen Klippen. Stemmt sich dem Tosen von Wind und Wellen entgegen. Erinnert sich. Und denkt jedes Mal: „Ich könnte springen.“

Prägnante Erzählung

"Und jeden Morgen das Meer" von Karl-Heinz Ott

2018 durfte ich Karl-Heinz Ott lauschen, als er im Rahmen des Open Books Lesefestes während der Frankfurter Buchmesse aus seinem neuesten Roman „Und jeden Morgen das Meer“ las. Fasziniert von der schwermütigen Geschichte, seiner seelenwunden Protagonistin, der prägnanten Erzählweise und – natürlich – dem Meer, kaufte ich das Buch. Ließ es sogar signieren. Doch gelesen habe ich es erst letzten Sommer. Im zweiten Anlauf. Am Meer.

Es brauchte den richtigen Zeitpunkt. Die richtige Stimmung. Einerseits nahm mich Otts Stil sofort ein. Andererseits stieß mich Sternekochgattin Sonja irritierenderweise heftig ab. Dabei mag ich melancholische Gemüter. Fühle mich erinnerungssatten Charakteren normalerweise verbunden. Besonders, wenn sie neu beginnen. Mutig sind. Und das ist Sonja durchaus. Denn das Weglaufen, diese Flucht nach Wales, ist doch auch Kampfansage. An sich. An die Vergangenheit.

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